Ernst schlägt Komik

Beim Choreografen-Wettbewerb in Hannover gewinnt der Brasilianer Alessandro Peirera den Hauptpreis, der Schweizer Zen Jefferson räumt Kritiker- und Publikumspreis ab

Hannover, 14/04/2009

Es ist wohl weniger das Preisgeld (zwischen 100 und 6000 Euro) als das zu gewinnende Renommee, das den Internationalen Wettbewerb für Choreographen von Hannover so attraktiv macht. Zur 23. Auflage des Wettbewerbs hatten sich nicht weniger als 166 Choreografen aus 45 Ländern mit Videos beworben, aus denen ein dreiköpfiges Auswahlgremium mit Ed Wubbe, dem holländischen Chef des Wettbewerbs, an der Spitze 15 Bewerber für den eigentlichen Wettbewerb an den Ostertagen in der Hannoverschen Staatsoper auswählte.

Das allgemeine künstlerische Niveau dieser 15 Wettbewerbsbeiträge war trotz der immensen Beteiligung aus aller Welt nicht überragend; es gab allzu viele dumpf verbohrte, introvertierte Bodenturnereien, die das Gedächtnis schon eine halbe Stunde nach Vorstellungsende kaum noch auseinander halten konnte. Erstaunlicherweise machte das Finale mit sieben Stücken zwischen fünf und 15 Minuten Dauer dann doch einen recht guten Eindruck, vielleicht, weil jetzt die Mischung aus Ernst und Komik stimmte und im Wesentlichen die richtigen sieben das Finale erreicht hatten.

Ausgeschieden waren alle vier Soli, die in der Vorrunde angetreten waren. Selbst das schöne sechsminütige „Behind this Shadow“, das der in Augsburg engagierte Franzose Stéphen Delattre der Stuttgarter Tänzerin Bridget Breiner auf den Leib choreografiert hatte, war – unverständlicherweise – auf der Strecke geblieben, vermutlich gerade deshalb, weil die Jury den Anteil der Tänzerin an der Qualität der Choreografie als zu hoch bewertete. Vermutlich hätte mancher im Publikum das 10-minütige Trio „Das Röhren der Hirsche“, das Tim Gebhards, Simon Hartmann und Daniel Ernesto Müller, Studenten der Essener Folkwang-Hochschule, nicht nur choreografiert hatten, sondern auch tanzten, gern unter den Preisträgern gesehen: eine kleine, böse Satire auf unsere übersexualisierte Gesellschaft mit hübschen Einfällen, allerdings arg limitierter Bewegung; zu mehr als einer Finalteilnahme reichte es dann doch nicht.

Verblüffenderweise einigten sich Publikum und Kritiker-Jury auf denselben Preisträger. „Little Red rides through the Hood“ von Zen Jefferson, einem in Wiesbaden engagierten Schweizer, erzählt die Geschichte des Rotkäppchen-Märchens mit brüllend komischen Bildern und Bewegungen. Als einziges der zum Wettbewerb zugelassenen Stücken erzählt es stringent eine Geschichte, mit der Musik – indischen Flötentönen und populären Songs, die das Ganze ästhetisch in Richtung Musical drehen – arbeitet es so pointiert wie kein anderes der in Hannover gezeigten Werke.

An der Wahl der mit neun Ballettdirektoren und Choreografen besetzten internationalen Jury gab es gleichwohl wenig auszusetzen. Alessandro Pereiras „Crossing Silence“ für ein Männerquartett, eine schöne, schwebend leichte Etude reinen Tanzes ohne die schwerfälligen Manierismen jener Stücke, die in der Vorrunde auf der Strecke geblieben waren, war auch in der Kritiker-Jury als Konkurrent für Jeffersons „Rotkäppchen“-Ballett diskutiert worden; der beim Danish Dance Theatre engagierte Brasilianer erhielt zudem die Einladung, bei dem von Ed Wubbe geleiteten Rotterdamer Scapino Ballet ein Stück zu choreographieren. Auch die Trägerin des zweiten Preises, Sanghue Jung von der Chungnam Nationality University aus Korea, war im Grunde unumstritten mit ihrem aus Schwarz-Weiß-Effekten, witzigen tänzerischen Attacken und klassischen Parallelbewegungen gefügten „Black suit“ für zwei Tänzerinnen. Allenfalls über die gleichberechtigten Gewinner des dritten Preises, Zufit Simon für das aus einem größeren Stück herausgebrochene „Meine Mischpuche“ und Sharon Fridman für das Männer-Duo „Carlos & Me“, beide übrigens aus Israel, wäre vielleicht zu diskutieren gewesen. Aber wer, außer den „Röhrenden Hirschen“ der Folkwang-Studenten wäre da in Frage gekommen?

So waren am Ende alle glücklich: natürlich die Preisträger, das Publikum, die Juroren und auch die veranstaltende Ballettgesellschaft Hannover, die ihre Augen bereits wieder nach vorn richtet auf ihren 24. Choreographen-Wettbewerb an den Ostertagen 2010. Sie erwartet dann mindestens wieder eine ähnliche Beteiligung wie in diesem Jahr, dann vielleicht auch aus Afrika, wohin der Ruf des Wettbewerbs bislang noch nicht vorgedrungen zu sein scheint.

www.ballettgesellschaft.de

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