Faszinierende Vielschichtigkeit

Beim Bayerischen Staatsballett kehrt John Neumeiers „Kameliendame“ zurück

München, 23/02/2009

In München hatte die Adaption von Alexandre Dumas‘ „Kameliendame“ vier Jahre lang geruht, war aber als Säule des Repertoires immer gegenwärtig. Jetzt konnte man sie wieder sehen und neu fasziniert sein von Neumeiers genialer Dramaturgie, seiner ausgeprägten choreografischen Sprache und überzeugenden Musikfindung (durchgängig Chopin). Welch ein Zugriff auf diese sozialkritische Tragödie einer edlen Kurtisane auch dadurch, dass Neumeier ein Balletttheater nach Abbé Prévosts Roman „Manon Lescaut“ in seine „Kameliendame“ einblendet, sodass die aktuelle Titelheldin, Manons Schicksal vor Augen, sich als Gefangene ihres Standes begreift und ihre wahre Liebe opfert! Wie deutlich auch die Affinität ihres Liebhabers Armand Duval zu Manons jugendlich-törichtem Liebhaber Des Grieux, wenn er begreift, dass Marguerite sich nur auf Drängen seines Vaters wieder in ihr Kurtisanentum gestürzt hat! Doch im Unterschied zu ihr wird er als bürgerlicher Protegé diese „Affäre“ überleben, wenn auch zunächst verzweifelt. In der Ergriffenheit darüber lag wohl die Wurzel zur gesellschaftlichen Kritik.

Nach jahrelanger Pause liegt es in der Natur der Sache, dass das Ensemble sich verjüngt hat und viele Debüts zu sehen waren. Ballettdirektor Ivan Liška gelang es, dass das Corps de ballet in der Darstellung des gesellschaftlichen Rahmens dank richtiger Intuition vieler Einzelner lebendig wirkte, wenn auch noch nicht so zeichenhaft wie früher. Auf Lisa-Maree Cullum lastet durch die verletzungsbedingten Absenzen Lucia Lacarras und Natalia Kalinitchenkos zur Zeit viel. Vielleicht muss man deshalb verstehen, dass sie in der Titelrolle, statt sich zu verausgaben, verhalten tanzte, was dem Publikum einiges Leidenschaftliche vorenthielt und Marguerites Fallhöhe verminderte. Doch hatte sie auch großartige Momente unmittelbaren Spiels, besonders als Marguerite nach dem mit letzter Kraft herbeigeführten Abschied von Armand in sich zusammensank. Alen Bottaini gab als Armand wie immer alles: Was er fühlt und denkt, strahlte ihm in jedem Moment aus allen Poren, und man weiß, dass er zu noch mehr animiert werden kann! Schade, dass sich in Armands erster „Begegnung“ mit Des Grieux die Bewegungen beider noch nicht vollendet spiegelten. Auch das trug dazu bei, dass gerade der erste Akt die Magie früherer Jahre nicht erreichte.

Technisch tanzte Tigran Mikayelyan sein Des-Grieux-Debut brillant und nahm sich gleichzeitig als Manons Partner stückdienlich zurück. In deren Rolle machte Daria Sukhorukova eine gute Figur, ließ aber das Diabolische habgieriger Unbedenklichkeit, für die Manon exemplarisch zitiert wird, etwas vermissen. Zu den Debütantinnen gehörten Valentina Divina als Nanina und Roberta Fernandes als Prudence, die engagiert zu guten Ansätzen fand. Besonders erfreulich die Olympia der jungen Ilana Werner, wie sie munter, neckisch und verführerisch Armand vor Marguerites traurigem Blick neues Vergnügen finden ließ. Vor allem aber gab Lukáš Slavický, schon bei seinem Debut glänzend aufgelegt, den Gaston Rieux virtuos zum Besten. Sehenswert wie eh und je waren Peter Jolesch als der Herzog, der monetär die Rechte an Marguerite hat, und Ivan Liška als Monsieur Duval, der sich, bei aller väterlich-streng einschreitenden Sorge, wohl von Marguerite gewinnen ließe, wenn deren Manon-Bewusstsein sie nicht daran hinderte, ihre Liebe noch zu retten. – Alles in allem die gelungene Wiederaufnahme eines Publikumshits, in dem es am 11. und 13. März ein Wiedersehen mit Maria Eichwald gibt!

Link: www.bayerische.staatsoper.de

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