Haftalltag in Ödnis und Ausweglosigkeit

Bewegendes Projekt der Palucca Schule Dresden in der Gedenkstätte Bautzen für Opfer politischer Willkür

Bautzen, 12/11/2009

Man konnte in diesem Jahr den Abend des geschichtsträchtigen 9. Novembers auf sehr unterschiedliche Art und Weise verbringen, und manche nutzten ihn auch, um ganz bewusst und selbst verordnet ins Gefängnis zu gehen. Justament in Bautzen, wo zu Beginn des vorigen Jahrhunderts kolossale Anlagen berüchtigter Art entstanden sind. Einer dieser beiden Gebäudekomplexe, im Volksmund auch unter dem Namen „Das Gelbe Elend" (Bautzen I) bekannt, wird auch heute noch als Justizvollzugsanstalt genutzt, während die einstige Sonderhaftanstalt „Bautzen II“ bereits im Jahre 1992 geschlossen wurde. Die heutige Gedenkstätte unterstand von 1956 bis 1989 inoffiziell dem Ministerium für Staatssicherheit, und dient heute als Ort der Erinnerung an die Opfer politischer Verfolgung und Haft.

Es ehrt die Palucca Schule Dresden – Hochschule für Tanz außerordentlich, dass sie gerade den mit Reminiszenzen an das Jahr 1989 behafteten 9. November zum Tag der Aufführung und dieses unrühmliche Gebäude als Auftrittsort für ein schwieriges Tanzprojekt wählte. Und Prof. Anke Glasow hat dieses unter dem Gedanken „Isolation Sperrzone“ gemeinsam mit Studierenden der Klassen H3/H4 des Hauptstudienganges Tanz sowie den beiden Musikern Alexander Theny und Matthias Zeller in intensiv Zusammenarbeit vorbereitet und erarbeitet. Die beiden Aufführungen unmittelbar im unteren Gang des Zellenhauses, zwischen den mit großen Riegeln und Sichtlöchern versehenen Zellentüren, assoziieren ohne jede Versimpelung oder aufgesetzte Emotionalität den Haftalltag politischer Gefangener in seiner erschreckenden Ödnis und Ausweglosigkeit. Ein sehr bewegendes, dem Anlass entsprechendes Erinnern; eindringlich auch deshalb, weil die Tänzer, die Musiker, so intensiv, so konzentriert dabei sind, und man spürt sehr genau: Sie wissen, was sie tun. Auch an welchem Ort, und warum. Keine artifizielle Geste, sondern ein Nachdenken mit künstlerischen Mitteln, ein sensibles Raumerleben – irritierende Dunkelheit und grelles Verhörlicht, ein Klanggeflecht assoziierter Geräusche des Haftalltags; Schlüssel, die sich im Schloss drehen, Türen, die sich mit schmerzhaften Lauten schließen. Nichts ist an diesem Ort politischer, menschlicher Willkür erlaubt, alles reglementiert. Und die an dem Projekt Beteiligten vermitteln diesen steten Druck: Das Warten und Ausharren, Anrennen und Lasten Schleppen, das Reagieren auf Befehle, die stete Einwirkung, der sich keiner entziehen kann.

Viele der jungen Künstler sind erst nach dem Fall der Mauer geboren, kommen aus dem Westen, Osten, Süden, Norden. Und für sie ist es heute selbstverständlich, dass es ihnen freisteht, nach dem Tanzstudium in Dresden überall auf der Welt zu arbeiten, weitere Ausbildungen zu absolvieren, Grenzen zu überschreiten. Eingebunden in die Performance sind auch Vorgaben zu Disziplin und Tagesablauf aus der Hausordnung der Strafvollzugsanstalt Bautzen vom 4. November 1957. Ein Regelwerk, gefüllt mit vorgeschriebenen Zeiten, Haltungen, Einschränkungen. Diese nicht eben freundlich klingenden Anweisungen hat der Schauspieler Tom Quaas für die Aufführungen eingesprochen, und man erfährt nunmehr am eigenen Leibe, wie all jene Regeln und Verbote darauf abzielen, den Inhaftierten jegliche Würde und Freiheit, auch noch das letzte Zipfelchen an Individualität zu nehmen. Quaas war im Oktober 1989 als politischer Häftling kurzzeitig selbst in Bautzen II inhaftiert. Ihn und seine Freunde hatte der in der Dresdner Neustadt als Spitzel bekannte „Kiste“ (auch „Moppel“ genannt) verraten – sie waren noch vor Beginn der Demonstration am 6. Oktober 1989 am Fetscherplatz zielgerichtet verhaftet worden. Dass das geschlossene Transportfahrzeug sie über die Autobahn auf direktem Wege nach Bautzen bringen sollte, konnten die Freunde auf der Holperfahrt bald erahnen, und es folgten auch für Quaas diverse Verhöre sowie sechs lange Tage und Nächte bei Brot und Wasser. Vor allem aber quälte die Ungewissheit, wie lange das Ganze dauern würde und wohin weitere Freunde gebracht worden waren. Für die Freilassung der für ihre Angehörigen spurlos „Verschollenen“ hatte sich damals, sagt er, der engagierte Theologe und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer eingesetzt. Und Quaas, der von einem Wärter brutal geschlagen wurde und über Jahre eine Entschuldigung einforderte, erhielt schließlich nach Jahren etwas mehr als fünf Mark für die damalige Rückfahrt nach Dresden zurückerstattet. Die Bürokratie funktionierte wieder; auf eine moralische Verantwortung der Schuldigen blieb jedoch nur zu hoffen.

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