Tiefe Verneigung vor Europas bester moderner Ballettkompanie

Die niederländische Hauptstadt hat den roten Teppich ausgerollt für den europäischen Tanz und seine feinsten Vertreter. Königin Beatrix, deklarierte Anhängerin von klassischem Ballett und zeitgenössischen Tanz, ließ es sich nicht nehmen, persönlich mitsamt Kronprinz Willem Alexander zur Gala-Eröffnung des 12. Holland Dance Festivals zu erscheinen, da diese international hoch angesehene Tanz-Biennale diesmal - neben den traditionellen rund 100 Workshops für Profis und Laien aus aller Welt und der 4. Tanzmedizin-Konferenz – dem Jubiläum 50 Jahre Nederlands Dans Theater (NDT) Reverenz erweist. Bis zum 15. November will der künstlerische Leiter, der Schweizer Choreograf, Pädagoge und exzellente Tanzmanager Samuel Wuersten, mit 70 Vorstellungen – darunter eine Vielzahl von Uraufführungen - den Familienstammbaum von Europas bestem Ballett und den unvergleichlichen Einfluss weltweit sichtbar machen durch Choreografien und Auftritte ehemaliger NDT-Mitglieder und Wegbegleiter-Tänzer-Choreografen aus aller Welt wie Dana Caspersen von der Forsythe-Company (Deutschland), Schwedens Cullberg Ballett, dessen vormaliger Direktor Johan Inger einer der regelmäßigen NDT-Gastchoreografen ist, Chicagos Hubbard Street Dance, dessen jetziger Direktor Jim Vincent sich als designierter NDT-Chef vorstellt, Nacho Duato mit dem Spanischen Nationalballett, Ohad Naharin mit Israels Batsheva Dance und Het Nationale Ballett Amsterdam mit einem neoklassischen Programm und einer tiefen Verneigung vor Hans van Manen, der das NDT mit gründete – aus Protest gegen die Dominanz des klassischen Balletts. Wie ein roter Faden zieht sich sein Schaffen heute durch die gesamte europäische Tanzlandschaft. Zehn Jahre war van Manen künstlerischer Leiter des NDT. Nur sein Nachfolger Jiří Kylián, seit 36 Jahren beim NDT, hat es derart nachhaltig geprägt. 25 Jahre leitete der gebürtige Tscheche das NDT, gründete die Junior- und Senior-Truppen NDT II und NDT III, blieb Hauschoreograf – bis jetzt.

Bei der Galaeröffnung stellte er seine Abschiedschoreografie vor, „Mémoires d'Oubliettes“ (Erinnerungen aus dem Verließ). So bissig und bitter der Titel klingt, so düster und voller Chiffren, aber auch choreografischen Eigenzitaten hat er sein halbstündiges, 101. Stück fürs NDT – hier mit sechs Starsolisten von NDT I – gepackt. Texte von Samuel Beckett, gewispert und rezitiert von Kylián und Ehefrau Sabine Kupferberg, zu einem elektronischen Klangteppich von Dirk Haubrich unterstreichen die bizarre, surreale kafkaeske Reflexion über Erinnern und Vergessen. Einem gespenstischen Weltuntergang gleicht Johan Ingers „dissolve in this“ vom Einzelnen, der in der Masse untergeht. Den Boden deckt ein Teppich aus pechschwarzen Papierfetzen. Zwei runde Neonröhren, auf Stative montiert, leuchten grell in der Dunkelheit - später ist's eine ganze Reihe, die wie Bullaugen in einer Schiffswand hängen, gegen die in einem lautmalerischen Crescendo immer lauter und wilder Wasser klatscht. Interessantester Teil der Gala war „Studio 2“ von Lightfoot-Léon, dem genialen Paar, das seit 20 Jahren die außergewöhnlichsten, menschlichsten Choreografien für die Junioren von NDT II kreiert. Im Studio 2 des Lucent Danstheater von NDT entstehen die meisten der Arbeiten dieses Ex-Tänzerteams Paul Lightfoot und Sol Léon. Raffiniert integrieren sie die Spiegelwände eines Ballettstudios, sodass die vier Tänzer und vier Tänzerinnen oft gleichzeitig von vorn und hinten zu sehen sind oder die Gruppe sich gar verdoppelt.

Weitaus weniger düster setzt sich das Holland Danse Festival fort. So beeindrucken Studierende von drei niederländischen Tanz-Akademien in Ausschnitten aus Choreografien von Kylián und van Manen. Ehemalige Tänzer kamen aus aller Welt, um mit eigenen Kurzbeiträgen in „Past und Present“ Einblick in ihre eigene Karriere zu gewähren. Die Eröffnungsfestlichkeiten des Holland Dance Festivals enden Sonntag nachmittag mit der mittlerweile traditionellen „Parade“ von über 1400 niederländischen Laientänzern durch die Innenstadt von Den Haag. Das NDT feiert ein ganzes Jahr lang Jubiläum mit Vorstellungen daheim und auf Tourneen (in Deutschland u.a. in Ludwigsburg, Bonn und Köln). Das Holland Dance Festival in Den Haag dauert bis zum 15. November

www.hollanddancefestival.com

www.ndt.nl