Mehrfachbegabungen

Eric Gauthier lud zur Gala

Waiblingen, 13/11/2010

Wahrscheinlich, weil Eric Gauthier in seinen Stuttgarter Programmen immer so gute Laune verbreitet, hatte das einen Steinwurf entfernte Waiblingen den Ballettdirektor, Choreografen, Tänzer, Sänger und Entertainer als Gastgeber der Gala zum 25-jährigen Bestehen des örtlichen Bürgerzentrums eingeladen. Erwartungsgemäß zog Gauthier (der den Namen des „Burger-Zentrums“ mittels eines Cheeseburgers in seiner Smokingtasche verinnerlichte) sämtliche Register, führte singend, tanzend und plaudernd durch den dreieinhalbstündigen Abend, der neben Musical- und Operngesang vor allem verschiedenste Arten von Tanz aus Stuttgart auf die Bühne brachte. Nachdem der Conférencier mit einem kanadisch-schwäbischen „Spätzle“-Song auf das kommende „Festmenü“ eingestimmt hatte, präsentierte er postwendend seine nächste Begabung, das Choreografieren: Acht Schüler der Stuttgarter John-Cranko-Schule tanzten die Weltpremiere „Tag“, was in diesem Fall nicht das deutsche Gegenstück zur Nacht meint, sondern das englische Fangenspielen.

Zu Boogie-Woogies und langsamen Walzern, die Komponist Francis Rainey höchstselbst auf dem Piano spielte, war ein junges, leichtes Stück im optimistischen Gauthier-Stil zu sehen, das sich mit Pas de trois, Duos und kleinen pantomimischen Szenen fast ein wenig wie das heitere Gegenstück zu Crankos „Brouillards“ anließ – vielleicht nicht ganz auf diesem Niveau. Am Schluss erstürmten die selbstbewussten Tänzer den Flügel, hauten in die Tasten und ärgerten den Pianisten, der, wie könnte es anders sein bei Gauthier, mit einer Konfetti-Kanone den letzten Tusch setzte.

Die Akademieschüler führten auch eine rassige „Fiesta Flamenca“ der Waiblinger Choreografin Catarina Mora vor, die genau so lange Eindruck machte, bis im zweiten Teil dann Flamenco-Star Miguel Angel antrat und mit einem Ausschnitt aus Moras Tanztheater „Machismo“ zeigte, wie viel schneller, eleganter und stolzer das leuchtende Vorbild aussieht. Dafür bewiesen Gustavo Echevarria und Theophilus Vesely im perfekt synchron getanzten Duo „Porto que sinto“ von Catarina Antunes Moreira erneut, warum die Jungs aus Petr Pestovs Klassen derart Furore machen.

Als Beispiel für den gelungenen zweiten Bildungsweg mag Randy Diamond gelten, vor zwei Jahrzehnten ein enigmatischer Solist beim Stuttgarter Ballett (zum Beispiel mit einem knisternden „Bolero“) und heute Musicalsänger – an kleineren Stadttheatern zwar, aber immer in den Hauptrollen. Er brillierte mit der wahrlich nicht einfachen Musicalhymne „Dies ist die Stunde“ aus Frank Wildhorns „Jekyll & Hyde“ oder fetzte im Duett mit Michaela Kaiser (auch sie begann beim Ballett) ein rasant getanztes „Time of my life“ aus „Dirty Dancing“ auf die Bühne. Was wäre wohl für ein Broadway-Star aus Diamond geworden, hätte er seine schöne Stimme gleichzeitig mit dem Tanzen entdeckt...

Vielleicht waren es an diesem Abend aber ein paar Programmpunkte zu viel, die stilleren, nachdenklicheren Beiträge drohten zwischen Musicalpop und Gauthiers Comedy fast unterzugehen - Bridget Breiner zum Beispiel vom Stuttgarter Ballett, die mit ihren wunderbar ausdrucksvollen Armen wie ein sterbender Schmetterling durch Marco Goeckes Solo „Tué“ huschte, zur brechenden Stimme der französischen Chansonsängerin Barbara. Selbst in einer solchen Umgebung und mit wahrlich nicht angemessener Beleuchtung entfaltet Goeckes Tanzsprache, seine fragende, nervöse und sich dann doch hingebende Musikalität, eine Stille der rätselhaften Faszination um sich. Breiner selbst, auf deren intensive Interpretationskunst ihr Direktor Reid Anderson leider viel zu oft verzichtet, scheint als Choreografin das Markenzeichen „Tanz zu Sprache“ für sich zu entwickeln: Ihr stark rhythmischer, immer wieder grotesk stockender Stil entfaltete sich im Solo „Au’leen“ zu einem religiösen Radiotext fremdländischer Zunge, bevor die Solistin zu einem Lied endlich das ersehnte „I believe!“ fand.

Am Ende legte der Moderator seinen Smoking ab und sprang derart mühelos durch die virtuosen Parodien seiner „Air Guitar“, dass man wie so oft den Balletttänzer Eric Gauthier am meisten von all seinen Inkarnationen bewundern musste. Seine Theaterhaus-Tanzkompanie mordete in „Orchestra of Wolves“ mal wieder den Dirigenten und Beethovens Fünfte, bevor sie den Abend mit einem ironisch-stilechten „Bollywood“-Finale beendete, in dem alle Mitwirkenden ihrer Tanzwut freien Lauf lassen durften.

www.bridgetbreiner.com / www.randy-diamond.com

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