Ein Juwel des klassischen Tanzes

Glanzvolle Wiederaufnahme von „Dornröschen“

München, 21/12/2010

Marius Petipas „Dornröschen“ in Ivan Liškas Neuinszenierung aus dem Jahr 2003 ist ein Schwergewicht im diesjährigen Spielplan. Valery Ovsianikov dirigierte einen kraftvoll farbigen Auftakt, der mit dem schönen Einfall beginnt, die Hauptcharaktere des Prologs als lebendes Bild vorzustellen, ehe der Gazevorhang sich hebt und den Blick auf die Hofgesellschaft in ihren prächtigen Kostümen freigibt. Zur Taufe Auroras tritt das Königspaar auf, der Zeremonienmeister mit Gästeliste und dann: acht Begleiterinnen der Fliederfee, sechs Prinzen und ihre luftig schwebenden Prinzessinnen, in deren Gasse sich der Blick auf die Wiege Auroras auftut – klassische Proportionen in vollendeter Symmetrie mit makellosen Arabesken eines hellwach tanzenden Ensembles. Es folgten die fünf Feenvariationen mit vier Debuts: anmutig getragen Monika Hejduková als Fee der Reinheit, Zuzana Zahradnikova voller Energie als Fee der Lebenskraft, Magdalena Lonska filigran-munter als Fee der Beredsamkeit und Ekaterina Petina als Fee der Leidenschaft mit glänzender Virtuosität. Dazu Séverine Ferrolier, die als Fliederfee das beständig Gute ausstrahlte – welch eine Staffelung bis hin zum Geschenk der guten Gaben an den Täufling Aurora! Plötzlich Donner, Aufregung, dämonische Wesen und die Fee Carabosse, von Cyril Pierre mit perfekter Bosheit dargestellt in ihrer Vorhersage, dass dieses Kind den Tod durch den Stich an einer Spindel erleidet. Sorge, durch die gute Fee zwar gelindert, lastet auf der Gesellschaft, und beim orchestralen Zwischenspiel resümiert man, dass man an der Aufführung eines kulturellen Juwels teilnimmt.

Die Frische des beginnenden ersten Akts ist dem Umstand zu danken, dass Ivan Liška die vielen Ensembleszenen auf ihre tänzerische Substanz komprimiert hat. Als mittlerweile heiratsfähige Aurora bezaubert nun Lucia Lacarra die vier sie freienden Prinzen von Anfang an durch höchste Qualität, sei es mit ihren durch den Fuß abgerollten Arabesken, hohen Ecartés und flinken Pirouetten oder der liebenswerten Ausstrahlung. In den verspielten Ensembletanz ihrer Freundinnen mischt sie sich in ihrer Freude über eine goldene Spindel, die ihr eine vermummte Gestalt gerade schenkte, sticht sich und stirbt. Das berührte in Lacarras tranceartigem Tanz. Im Triumph gibt Carabosse sich zu erkennen und verschwindet spukartig, ehe die Fliederfee begütigend daran erinnert, dass sie den Tod in langen Schlaf mildert.

Auch zu Beginn des 2. Akts empfahl sich Ekaterina Petina als Herzogin unter den Hofleuten mit ihrer eleganten Präsenz für höhere Aufgaben. Dann rückt Desiré ins Zentrum. Der geschmeidige Tigran Mikayelyan überzeugte bei seinem Debut mit einem differenzierten Rollenprofil. Der Prinz will von der Herzogin weg, allein in der Natur seine Sehnsüchte reflektieren. Da erscheint ihm die Fliederfee, lässt ihn Aurora sehen! In der Grotte der Feen beginnt Lucia Lacarra ihren elegisch-traurigen Tanz, und vorbei ist es mit der resignierten Gleichgültigkeit unseres Prinzen! Das kann man auch in Sankt Petersburg nicht besser, und dort muss man so manchen Ballast in Kauf nehmen. Hier aber ist in der glänzenden Ausstattung nach Peter Farmer in einer Symphonie der Farben alles leicht und transparent. Nach einer weiteren Variation von Lucia Lacarra mit kostbaren Details verliert Desiré sein Traumbild im Wirbel der vorzüglichen Feen. Die Seefahrt mit der Fliederfee, von Ivan Liška in Tanz aufgelöst, leitete unversehens zum verzauberten Schloss hin, und traumschön überbrückte das Staatsorchester die Umbauphase.

Im 3. Akt sieht man all die Schlafenden wieder, unter ihnen Carabosse über ihren Triumph wachend. Schon naht der Prinz im Gefolge der guten Fee, vertreibt sie, gibt Aurora den Kuss – und da ist sie wieder, jung und lebendig. Erneutes Zwischenspiel, und der Vorhang hebt sich zur Hochzeit: Wieder tanzt die Hofgesellschaft, Märchenfiguren treten auf. Im Pas Fabergé zeigte sich Javier Amo Gonzales anmutig entspannt und präzise erstmals als Kavalier, an seiner Seite debütierten Daria Sukhorukova und Ekaterina Petina als Topas und Rubin vorzüglich in Ausstrahlung, Technik und Stil. Gregory Mislin war neben Lucie Barthélémy ein charmant-witziger gestiefelter Kater, als Blauer Vogel erfreute Maxim Cashchegorov, geradezu fliegend, mit schöner Linie und filigranen Battements, und als Däumling hatte der temperamentvolle Ilia Sarkisov das tolle Tempo seiner Pirouetten und Sprünge lustvoll im Griff. Lucia Lacarra und Tigran Mikayelyan steigerten den Pas de deux Auroras und Desirés, langsam beginnend, zu majestätischem Glanz, sie mit vollendeter Präzision und bewundernswerter Phrasierung, er aus seinen in die Höhe schnellenden Sprüngen weich und wie angeklebt landend, beide in ihren Posen, die von Leonardo da Vinci sein könnten, ein Traumpaar. Um sie herum überzeugte das gesamte Ensemble, in dem jeder mit sichtlicher Freude sein Bestes zum organischen Ganzen beitrug.

Diese gelungene Inszenierung des Petipa-Klassikers durch Ivan Liška führte wieder vor Augen, was Tänzer leisten können, und die Kompanie bewies ihre in der Ära Liška über die Jahre kontinuierlich gesteigerte Qualität. So überraschte Liškas „Dornröschen“ in seinem Liebreiz und seiner Schönheit nach einer rund dreijährigen Pause und all den modernen Stücken der letzten Monate mit einem fast schon vergessenen Ausmaß an Größe und Pracht.

www.bayerisches.staatsballett.de

 

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