Comédie-ballet - auch heutzutage noch Unterhaltung

Henzes „Signor Pulcinella“ als Hagener Erstaufführung

Hagen, 26/09/2010

Dreimal binnen einer Woche fokussierte das „Henze-Projekt“ von RUHR.2010 auf das Bühnenwerk des vielseitigen Komponisten: nach dem „Undine“-Ballett hatte am Vorabend der Uraufführung seiner „Gisela!“-Oper der Ballettabend „Molière“ in Hagen Premiere – und endete erwartungsgemäß mit stehenden Ovationen. Denn in der kleinen Industriestadt mit der großen Kulturgeschichte am südöstlichen Rand des Ruhrgebiets (hier wurde dank des Industriellen Karl Ernst Osthaus die Folkwang-Idee konzipiert) gibt’s heute an der Elberfelder Straße Theater fürs Publikum – künstlerisch enorm engagiert, handwerklich solide und unterhaltsam im besten Sinn. Dass die Stadt die Theatermacher mit massiven Sparzwängen bedroht, nehmen weder die Künstler noch das Publikum widerspruchslos hin. So kann Ricardo Fernandos sympathische, hochmotivierte 15-köpfige Ballettkompanie auf die vielfältige Unterstützung von mittlerweile 350 „Ballettfreunden“ und konstanten Publikumserfolg bauen.

„Molière“ ist ein Zweiteiler, der mit Hans Werner Henzes Tanzschauspiel „Le disperazioni del Signor Pulcinella“ beginnt. Die Entstehungsgeschichte ist „typisch Henze“. Der gebürtige Westfale verdingt sich voller Bescheidenheit immer wieder als „Gebrauchsmusiker“. Ursprünglich hat er dieses Ballett auf Molières Komödie „Der Bürger als Edelmann“ als Schauspielmusik für eine nie realisierte Hilpert-Komödien-Inszenierung von „Georges Dandin“ komponiert. Unter dem Namen von „Jack Pudding“, dem englischen Hanswurst, wurde ein Ballett draus und 1950 in Wiesbaden uraufgeführt. Zufrieden war der Komponist damit nicht. So ließ der Wahl-Italiener 1995 für Schwetzingen den Bürger, der als Edelmann von einem Fettnäpfchen ins nächste tappt und sich - von der koketten Gattin betrogen – in den Tod getrieben sieht, ins Italien der Commedia-dell’Arte-Ära reisen und revidierte die zuvor eher skizzenhafte Musik durch spritzige Rhythmen in ausdrucksvollsten Klangfarben und eine Fülle von Tänzen, die wesentlich tänzerischer daherkommen als etwa Henzes „Undine“ oder „Orpheus“.

Ricardo Fernando choreografiert diese köstliche Musik (wenngleich für die Gruppen reichlich brav) zwischen HipHop, Abrobatik und Modern Dance und entlockt seinen Tänzern mitreißende Spielfreude. Allen voran begeistern Andre Baeta als Pulcinella, Hayley Macri als seine lebenslustige Smeraldine und Marcelo Moraes als ihr blasierter Kavalier. Zu schade, dass der greise Komponist – obwohl gerade wegen „Gisela!“ aus seinem süditalienischen Domizil ins Revier gereist – die bis in viele Details liebevoll, intelligent und mit Witz gestaltete Aufführung sich nicht selbst anschaut. Sie könnte ihm sehr wohl gefallen.

Im zweiten Teil des Abends schlägt Moraes als Jean-Baptiste Molière einen riesigen Folianten auf, um dem Sonnenkönig und seinem Hofkomponisten, Jean-Baptiste Lully, seine Komödien zur Vertonung als Comédie-ballets anzubieten. Aus den Seiten hüpfen nacheinander die Tänzer-Darsteller der Schauspiele „Der Bürger als Edelmann“ (überwiegend in derselben Besetzung wie in Henzes Werk), „Der eingebildete Kranke“ (köstlich überdreht Matthew Williams) und „Dom Juan“ (mit elegant fließendem Pas de deux von Beau Leszek Januszewski und „Dame“ Carla Silva als Elvire). Musik von Richard Strauss, Lully, Darius Milhaud und Gluck begleiten die kurzweiligen, wenn auch inhaltlich nicht immer klar verständlichen Kurzfassungen der Komödien.

Kein Geringerer als Hagens Generalmusikdirektor Florian Ludwig leitet das bestens aufgelegte Philharmonische Orchester. Pfiffig und elegant wie stets besorgt Peer Palmowski die Ausstattung: die Rokoko-Kostüme bricht er mit heutigen Akzenten auf (Pulcinella trägt einen hellbrauen Businessanzug). Die barocken Kulissen mit Straßen-, Haus- und Saalszenen projiziert er im ersten Teil auf den Rückprospekt; später beherrscht der Foliant die Bühne. In der Tat: ein gelungener Beitrag zu RUHR.2010 und zum „Henze-Projekt“.

www.theater-hagen.de

Kommentare

Noch keine Beiträge