RUHR.2010 – das Jahr der Kulturhauptstadt Europas ist eröffnet

Lutz Förster und das Ballett Schindowski beeindrucken

Essen, 11/01/2010

Dass die Stadt Essen federführend bei der Gestaltung des europäischen Kulturhauptstadtjahres RUHR.2010 ist, soll auch ihrem Image als „Tanzstadt” zugute kommen. Gleich am Eröffnungswochenende setzten die wichtigsten Institutionen Akzente: Die Folkwang-Hochschule (seit 1. Januar „Folkwang-Universität”), das Choreographische Zentrum NRW „pact zollverein” und das Gymnasium Essen-Werden. Bei der zündend fetzigen Eröffnungsfeier in der Kokerei der Zeche Zollverein konnte immerhin zwischen den obligatorischen Festreden und Herbert Grönemeyers Ruhr-Hymne Henrietta Horns Choreografie einer neunminütigen Tanzperformance im Showstil mit jungen Tänzern aus der freien Szene und Folkwang-Absolventen über die provisorische Bühne gehen. Vor Beginn des offiziellen „Kulturfests” auf dem gesamten Zechengelände beeindruckte Lutz Förster in der ehemaligen Waschkaue, wo sich das Choreografische Zentrum NRW eingerichtet hat, mit seiner einstündigen autobiografischen Performance, die er - von Jérôme Bel als Hommage an den Bausch-Tänzer initiiert – gemeinsam mit dem Franzosen entwickelt hat.

Auf dem Programm des Kulturfests schließlich standen Ausschnitte aus der Choreografie „Die drei Schleier der Europa” von Jean-Claude Gallotta, getanzt von Schülerinnen der Tanzabteilung des Gymnasiums Essen-Werden. Das ganze Stück ist eines von rund 100 Projekten des Städtepartnerschafts-Programms „TWINS”, die aus über 500 Bewerbungen ausgewählt wurden. Die rund eineinhalbstündige komplette Choreografie soll Mitte Juli gemeinsam mit Tanzschülern aus Essens Partnerstädten Grenoble und dem polnischen Bytom an verschiedenen Orten der Kulturhauptstadt aufgeführt werden.

Am Eröffnungswochenende profilierte sich nur wenige Kilometer nördlich der Zeche Zollverein, in Gelsenkirchens Kirche St. Georg, das Ballett Schindowski bei einer außergewöhnlichen „Reise durch die Operngeschichte” des Musiktheaters im Revier: „Unsprechbares Zuhause” nennt sich das Programm mit Kompositionen von Claudio Monteverdi, zusammengefasst als „Lamenti über Liebe und Tod”, aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und Morton Feldmans „Neither” von 1977. Gespielt von einem Kammerensemble auf alten Instrumenten erklang Monteverdis strenge und doch gleichzeitig überaus empfindsame Musik, die Annett Göhre als sehr körperliche Paar- und Ensembleszenen choreografierte. In den raffinierten Übertragungen musikalischer Rhythmen und Spieltechniken auf die menschlichen Körper, die das Ensemble vorzüglich auf einer Art Laufsteg umzusetzen wusste, beeindruckte insbesondere das erste Paar, Marika Carena und Min-Hung Hsieh. Bestechend auch die Darbeitung der sehr jungen Alina Köppen (mit Evgeny Gorbachev), die später in einer halsbrecherischen Solo-Sequenz - mit hohen Pumps am linken Fuß und in hauchzartem Söckchen rechts - verblüffte.

Feldmans handlungslose Oper in einem Akt für Orchester und eine Sopranstimme (vorzüglich: Alexandra Lubchansky) spielte die Neue Philharmonie Westfalen unter dem jungen Dirigenten Johannes Klumpp hinter einem grauen Gazevorhang. Nur einmal wird für einen kurzen Moment das Tanzensemble - kostümiert und regungslos wie brav-sakrale Chorknaben – auf dem Laufsteg sichtbar. In den übrigen 45 Minuten nimmt die Choreografin das Schwebende, Raumfüllende der Musik auf, indem sie Gesichter der Tänzer in Großaufnahme, Gliedmaßen, Kleidungsfetzen, verschwommene Objekte in schwarz-weiß projiziert (Film: Andreas J. Etter; Kamera: Fabio Stoll). Ein grandioser Effekt in dem großen Gewölbe.

Tanz findet sich auch im weiteren Verlauf des Kulturhauptstadtjahres der vielbeschworenen „neuen Metropole Ruhr” unter den rund 2500 Veranstaltungen der 53 beteiligten Gemeinden. Auf „pact zollverein”, das auch Gastgeber zahlreicher allgemeiner Veranstaltungen – etwa im Rahmen von „Theater der Welt” im Juni – ist, schließt sich, gefördert von Tanzplan Essen 2010, vom 24. bis 31. Januar „AGORA 2010/Feldstärke International” an – Zusammenschluss der beiden Formate transdisziplinären Austauschs und der Vernetzung von Studierenden verschiedener Kunstdisziplinen, Institutionen und Länder. Die im einwöchigen Prozess entstehenden Aktionen werden am 30. Januar öffentlich präsentiert.

Als zweite Großveranstaltung findet hier vom 2. bis 8. März die 2. Biennale Tanzausbildung von Tanzplan Deutschland statt, ein gemeinsames Projekt der Folkwang-Universität – jetzt im neuen Sanaa-Gebäude, vis-à-vis von pact zollverein – und der Ausbildungskonferenz Tanz mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und Ruhr.2010. Gewichtigster Teil des mehrzügigen Programms „Theater wagen – Musik leben” ist das „Henze-Projekt”, bei dem sechs Ballette zur Musik Hans Werner Henzes aufgeführt werden: Für Essens „Aalto Ballett Theater” choreografiert Stijn Celis die „Undine”, während Bernd Schindowski seine „Voices” auf Henze-Lieder vorbereitet. Xin Peng Wang begibt sich in Dortmund mit „element x” auf eine Tanzerkundung; in Hagen studiert Ricardo Fernando „Molière” auf Henzes Tanzschauspiel „Pulcinella” und zu Teilen aus Rameaus Ballettmusik zu Molières „Bourgeois Gentilhomme”ein. Mark Sieczkarek indes erarbeitet mit Studierenden der Folkwang-Tanzabteilung im Bochumer Prinz Regent Theater ein Mimodram mit Szenen aus Dostojewskis Roman „Der Idiot”. Gastauftritte renommierter Vertreter der internationalen Tanz-Avantgarde ziehen sich durch das Jahresprogramm.


www.ruhr2010.de

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern