Was für ein Glück wieder dabei zu sein

Ein Blog von Terry Pfeiffer

Frankfurt, 27/05/2010

Ich habe das Glück gehabt, wieder einmal bei einem tamed-Kongress dabei gewesen zu sein, der dieses Jahr in Frankfurt/Main unter dem Motto, „Am Drehpunkt der Bewegung“ stattfand. Wie in der Einleitung zum Kongress deutlich wurde, ist Frankfurt in der Tat auch ein Drehpunkt, allein durch den Flughafen Rhein-Main und durch die geographische Lage fast in der Mitte von Deutschland. Dieses Mal konnte mich meine ältere Tochter begleiten, die sich auch an einem „Drehpunkt“ befindet, kurz vor ihr erstes Engagement als Bühnentänzerin; also war der Kongress auch für sie gerade richtig. Am Freitag, zwischen 11 und 12 Uhr vormittags, sind die Teilnehmer eingetroffen. Da ich nicht sonderlich weit entfernt von Frankfurt wohne, konnte ich sogar ganz „normal“ aufstehen und mit dem Zug anreisen.

Wie immer bei den tamed-Kongressen (früher hießen sie „Symposien“) war die Organisation gut und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen waren sehr nett und hilfsbereit. Nach einer Begrüßung mit teils witziger Lecture-Performance (gestaltet von Tanzstudenten der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt, in dessen Räumen der Kongress auch stattfand) ging es gleich los mit den ersten Vorträgen.

Da das Motto dieses Vortragsblocks „Drehpunkt Beweglichkeit“ hieß, wurde viel über Überbeweglichkeit, oder Hypermobilität, gesprochen. Wir haben z.B. von Dr. Boni Rietveld gehört, dass man durchaus „zum Tanzen geboren“ sein kann, wenn man bestimmte Bewegungsfaktoren besitzt. Dennoch ist man als sehr beweglicher Tänzer nicht vor Problemen und Verletzungen geschützt. Noch dazu ist ein Gelenk oft in einer Richtung stärker hypermobil als in die andere, was zu Dysbalancen und einer veränderten Anfangsposition einer Bewegung führt. Dies wiederum kann leicht zu Überbelastung des Gelenkes führen, manchmal mit Verletzung als Folge.

Anschließend habe ich den Workshop „Sprungtechnik für Tänzer“, geleitet von Andrea Schärli, besucht, der leider in einem ziemlich ungeeigneten Raum stattfand, da der Boden sehr hart war und man die Übungen nicht optimal ausführen konnte. Eine interessante Idee für das Sprungtraining im Ballettunterricht war, die Sprünge früher im Unterricht einzubauen, beispielsweise noch vor dem Adagio in der Mitte; da ist der Tänzer hoffentlich noch relativ „frisch“ und kann an Sachen arbeiten, die mehr Kraft verlangen, wie z.B. Sprünge. Das Adagio, das hingegen mehr Ausdauer erfordert, könne dann später erfolgen.

Am ersten Abend war dann eine „Tanz-Performance“ zu sehen, gestaltet von Studenten des Master-Studiengangs Choreographie und Performance und des Bachelor-Studiengangs Tanz der Hochschule Frankfurt. Beim zweiten Teil dieser Vorführung durfte das Publikum dann den Tänzern „Stichwörter“ zurufen, auf welche die Studenten in Improvisations-Übungen eingegangen sind.

Samstag früh um 9:00 Uhr ging es dann gleich wieder mit Vorträgen los. Dr. Elisabeth Exner-Grave erzählte vom leistungdiagnostischen Screening von professionellen Bühnentänzerinnen und Tänzern. So etwas ist meiner Ansicht nach wirklich fantastisch. Es werden fachlich kompetente Diagnosen gestellt, sodass Tänzerinnen und Tänzer frühzeitig auf mögliche Gefahren und Probleme aufmerksam gemacht werden und spezifische vorbeugende Maßnahmen ergreifen können, um ihre Karriere möglichst zu verlängern.

Dr. Eileen Wanke hat über die gesundheitliche Situation von hauptberuflichen Tanzpädagogen in Deutschland berichtet. Wir erfuhren, dass viele Tanzpädagogen bei Verletzungen nicht sofort zum Arzt gehen oder eine kurze Auszeit nehmen, sondern unter Schmerzen weitermachen. (Dabei fiel mir eine deutliche Analogie zu der Situation von Bühnentänzerinnen und -tänzern auf.)

Über Tanz im Alter (mit dem klangvollen Titel, „Alter schützt vor Tanzen nicht“) hat wieder Dr. Eileen Wanke berichtet und wir haben gelernt, dass Tango Argentino eine nahezu ideale Bewegungsart für ältere Leute ist. Ballett ist immerhin noch hilfreicher als reines Krafttraining hinsichtlich Balance, Schnelligkeit und Depressionsvermeidung.
Nach einer viel zu kurzen Kaffeepause (ich hätte gerne mehr Zeit gehabt, mit Leuten zu reden, meine Gedanken zu sammeln und meine Notizen nochmals durchzulesen; etwas essen und auf die Toilette gehen wollten sowieso alle...!) ging es weiter mit den nächsten Workshop-Blöcken. Ich habe den Workshop mit Javier Torres und Liane Simmel gewählt, genannt: „Joint mobility and its impact on ballet training“. In Javier Torres’ Workshops gehe ich sehr gerne. Er ist immer positiv und motivierend und versteht es gut, durch Humor und Lockerheit dafür zu sorgen, dass seine Botschaft auf fruchtbaren Boden trifft. Er hat jedes Mal tolle Metaphern für die Visualisierung von Tanztechnik und ich genieße immer diese Lecturetrainings. Bei diesem Workshop wurde eine „Barre“ (oder Stangentraining) gemacht und zwischen den Übungen hat Dr. Liane Simmel erklärt, worauf man achten sollte, bzw. was genau das jeweilige Gelenk jetzt macht und warum. Sie hatte Skelettteile zur Demonstration der Gelenkbewegungen dabei, die alles sehr anschaulich machten.

Nach einer kurzen Mittagspause waren wieder einige Vorträge zu genießen und später am Nachmittag war dann „Bewegte Zeit“. Hier konnte man eine „Reise“ durch die verschiedensten Präsentationen machen. Man konnte hingehen, wo man wollte und bleiben, solange man wollte. Alle Türen waren offen. Meine Tochter und ich haben uns zuerst für die Präsentation über die „Healthy Dancers’ Diary“ entschieden. Danach hatten wir vor, mindestens zwei andere Präsentationen zu besuchen. Wir waren aber so begeistert von dem ersten Teil der Präsentation über das „Gesunde Tänzer-Tagebuch“, dass wir die Zeit vergaßen und die ganzen zwei Stunden bei Margot Rijven geblieben sind.

Diese Präsentation, bei der wir auch zwischendurch Fragen stellen konnten, war sehr angenehm und wir konnten gut in die Materie eintauchen: Das „Healthy Dancers’ Diary“ ist eine tolle Idee, und ich kann nur hoffen, dass dieses – oder so etwas Ähnliches – bald für alle TanzstudentInnen und TänzerInnen zugänglich sein wird! Beim „Healthy Dancers’ Diary“ tragen die Tänzer ganz kurze, wichtige Fakten täglich in ein digitales „Tagebuch“ ein. (z.B.: ob und wie viel man geschlafen, gegessen, trainiert hat, oder ob man Schmerzen hat oder sich irgendwie unwohl fühlt.) Die Auswertung der Daten, welche absolut anonym erfolgt, hilft den TänzerInnen Zusammenhänge zu erkennen und so hoffentlich eine drohende Verletzung oder gar Depression zu vermeiden, bzw. auch zu erkennen, welche Faktoren zu einer positiven oder negativen Entwicklung beitragen.

Am Abend habe ich die Zeit gebraucht, um über die Geschehnisse und Eindrücke des Tages nachzudenken und meine Gedanken zu ordnen. Sonntag früh um 9:00 Uhr waren erst einmal Workshops. Neun Uhr ist in der Tat sehr früh für Sonntag und ich muss sagen, ich fühlte mich etwas „ungebügelt“. Ich hatte mich für Jenny Coogan und ihren Workshop mit dem Namen „Gelenke Tanzen“ entschieden. Er war auf Basis der Feldenkrais-Methode aufgebaut, eine Lernmethode mit Aufmerksamkeit auf sensorische Details, in der ich bis dahin fast keine Erfahrung hatte. Nach einer kurzen Einführung in die Methode haben wir uns auf Matten hingelegt. Wir sollten die Augen schließen, und uns nur auf unsere Körper konzentrieren. Es war gut, dass Frau Coogan immer wieder Anweisungen gab, denn so konnte ich der Versuchung, einzuschlummern, erfolgreich widerstehen. Es war angenehm, auf dem Boden zu rollen und nur auf meine Gelenke zu achten. Dass wir alle unsere ganz persönlichen Bewegungsmuster haben, wurde deutlich, als wir uns auf die Seite legen sollten. Wir haben dann unterschiedliche Wege ausprobiert, wie man sich auf die Seite drehen kann. Nach einer Weile musste ich unbedingt in die andere Richtung drehen, da ich schon ganz kribbelig geworden war vom Immer-über-rechts-Drehen. Ja, die Bewegungsmuster setzen sich anscheinend schnell fest.

Danach wieder kurze Kaffeepause und schnell Leute treffen, ein paar Worte wechseln, wieder zum Plenum eilen, den nächsten Vorträgen gebannt lauschen. Diesmal ging es um „Drehpunkt Psyche“, und hat mit einem Vortrag von Dr. Corinne Jola über „Antizipation und Beweglichkeit – Wo schauen Sie denn hin?“ begonnen. Interessant: Das allgemeine Publikum scheint vertikale Formen zu bevorzugen; so zum Beispiel, wenn ein Bein ganz hoch ist. Aber, wenn man genau hinschaute, worauf die Augen der Testpersonen gerichtet waren, hat man gemerkt, dass sie hauptsächlich den Oberkörper der Tänzer und Tänzerinnen angeschaut haben. Also, doch Ausdruck statt nur hoher Beine?

J. Lemmer Schmid hielt ein Vortrag über „Flow-Erleben durch Achtsamkeit“. „Flow-Erlebnisse“ im Tanz wurden als solche erklärt, bei denen man sich selbst völlig vergisst, wo man „eins“ ist mit der Bewegung. Dies kann man durch Achtsamkeit, das Beobachten und Akzeptieren des inneren und äußeren persönlichen Zustandes erreichen. Menschen sind psychisch am glücklichsten, wenn sie sehr mobil durch „Flow“ Erlebnisse und Handeln bewegen können.

Danach hat die Tänzerin und Ärztin Anja Weber über die „Entwicklung psychischer Kompetenzen durch Tanz“ referiert. Dass man durch Tanz viele Emotionen ausdrücken kann, ist hoffentlich bekannt. Tanz kann man aber auch gut dazu nutzen, um Gefühle zu zeigen, die man sonst vielleicht nicht zeigen oder gar erkennen könnte.

Die letzen Workshop-Blocks fanden dann nach der Mittagspause statt: Ich wollte noch einmal zu Javier Torres; diesmal ging es um „Body connectivity as a base for ballet training“. Alles in unserem Körper ist eigentlich zusammenhängend, obwohl wir oft dazu neigen, die verschiedenen Körperteile voneinander zu isolieren, um uns darauf zu konzentrieren. Die krampfhafte Isolation führt dann manchmal zu unnatürlichen, steif aussehenden Bewegungen und sogar zu Verletzungen, wenn wir kompensieren müssen, weil wir „alles festhalten“ wollen. Eigentlich sind alle Teile doch „connected“ also verbunden; wie zum Beispiel: wenn man den Oberkörper ganz normal spiralförmig nach links dreht, wenn das linke Bein nach vorne geht. Oder, wenn man in eine „Balance“ geht, hilft es, sich vorzustellen, wie der Kopf oben schwebt und das Rückgrat wie ein dickes Seil nach unten pendelt, an dessen Ende dann das Steißbein hängt.

Bei diesem letzten Workshop machten wir wieder Ballett-Übungen, diesmal aber ohne die „Stange“, dafür teilweise mit einem Partner. Wir machten pliés, tendus, jetés, ronds de jambes; einfache Übungen mit anderen Ansätzen, mit viel Atem, mit schönen, bewegenden Bildern und kleinen „Hilfe“-Griffen vom Partner, die uns dabei unterstützten, uns so ökonomisch wie möglich zu bewegen. Weniger ist oft mehr! Und wie schön es aussieht, wenn die Tänzer so einfach und „connected“ arbeiten!

Persönlich habe ich es sehr genossen, mit so vielen gleichgesinnten Leuten zusammen zu sein, und manche alten Freunde und ehemaligen Kolleginnen zu treffen. Es war aber nie wirklich genug Zeit, um mit Leuten zu reden, denn das Programm war sehr vollgepackt mit tollen Angeboten wie Vorträgen, Präsentationen und Workshops, die man sich nicht entgehen lassen wollte. Weniger ist mehr. Ausatmen muss man auch können. Ich wünschte mir wieder einmal, es wäre etwas weniger gewesen, dann hätte ich vielleicht noch mehr davon mitnehmen können.
 

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