Das Palais Garnier erneut in Flammen

Natalia Osipova und Ivan Vasiliev in „Don Quixote“

Paris, 11/05/2011

Das Pariser Publikum täuschte sich nicht, als es nach der Premiere von „Don Quixote“ in einen stürmischen Applaus ausbrach, wie ihn seit Jahren kaum ein Ballett dort hervorgerufen hat: das war ein spezieller Abend, an dem das Bolschoi sich mit seinen schönsten Federn schmückte. Nach „Flammes de Paris“, einer eher historisch als tänzerisch interessanten Hommage an die Gastgeber, ging es hier ganz offensichtlich darum, zu zeigen, dass die Glanztage des russischen Balletts keineswegs der Vergangenheit angehören. „Don Quixote“, ein Paradeballett der dynamischen Moskauer Kompanie, wird heute dort in der auf Petipa und Gorsky beruhenden Version von Alexei Fadeyechev aus dem Jahr 1999 getanzt. Diese Fassung zeichnet sich durch eine Fülle an Charaktertänzen aus, die besonders einige feurige und biegsame Solistinnen zur Geltung bringen (unter anderem Anna Bakulova, die mit ihrem beeindruckendem Cambré ständig mit dem Kopf die Fersen zu suchen scheint) – dies ist dem Pariser Zuschauer ziemlich fremd, da Nurejew in seiner Fassung für die Pariser Oper stattdessen eine Anzahl an männlichen Soli schuf.

Ob all die zusätzlichen Charaktertänze das Werk nicht vor allem im 2. Akt etwas zu sehr in die Länge ziehen, sei dahingestellt – sicher ist, dass an diesem Abend sämtliche Rollen auf dem allerhöchsten Niveau besetzt waren. Angesichts der Fülle an Solisten ist es fast unmöglich, alle Tänzer gebührend zu würdigen, doch seien zumindest einige erwähnt: Andrei Merkuriev als Espada, der nicht nur sein Cape mit großer Fingerfertigkeit handhabte, sondern mit seinen drei verschiedenen Partnerinnen auch als unwiderstehlicher Herzensbrecher auftrat, sowie seine verführerische Straßentänzerin Anna Leonova. Die federleichte Nina Kaptsova als aufdringlich frecher Amor in Don Quixotes Traum. Ekaterina Shipulina als majestätisch langgliedrige Dryadenkönigin, der man in ihrer Diagonale aus Grand Jetés ansah, dass sie lieber eine doppelt so große Bühne überflogen hätte. Anna Tikhomirova und Anna Nikulina, die sich als Brautjungfern erfolgreich der schwierigen Herausforderung stellten, zwischen Kitri und Basilio im Grand Pas mit jeweils einer Variation aufzutreten.

Die Hauptrollen wurden von den beiden Jungstars Natalia Osipova und Ivan Vasiliev getanzt, die nicht nur in Russland in diesem Ballett bereits große Erfolge feierten. Beide enttäuschten keineswegs die großen Erwartungen des schwer zu beeindruckenden Pariser Publikums: Vasiliev überquerte die Bühne mit einigen nie gesehenen Sprüngen (beispielsweise eine Serie von Double tours en l’air, die er im letzten Moment vor der Landung etwas à la seconde öffnete), und das mit einer so spontanen Leichtigkeit, dass man sich fragte, ob er sie nicht kurz vor dem Absprung erfand. In seinen stets exakt endenden Pirouetten wechselte er nicht nur mehrmals die Position des Beins, sondern auch die Geschwindigkeit. Osipova stand ihm um nichts nach in der explosiven Höhe und Weite ihrer Sprünge sowie in der federleichten Eleganz, mit der sie selbst die erstaunlichsten tours de force vollbrachte. Beide treiben die technische Darbietung an den Rand des Menschenmöglichen, ohne dabei ganz in die Akrobatik zu verfallen – dazu sind sie zu sehr der russischen Tanztradition verhaftet. So ist ihr energiegeladener Tanz immer noch ein Ausdruck des jugendlichen Übermuts der verkörperten Charaktere.

Von Stilsicherheit zeugt unter anderem Osipovas Auftritt als Dulcinea im zweiten Akt, in dem sie sich jenseits der technischen Demonstration in das körperlose Objekt von Don Quixotes Träumen verwandelt. Zudem beherrscht sie bei aller kraftvollen Virtuosität auch die präzise Fußarbeit, die den Stolz der französischen Schule ausmacht: ihre Sprünge auf Spitze sind ebenso exquisit wie die blitzschnellen Retirés ihrer Variation im dritten Akt. Schließlich beenden beide ihre Darbietung mit einer mühelos wirkenden Serie blitzschneller Fouettés.

Einiger Protest kam nur von der riesengroßen Rosinante, die versuchte, Don Quixote mitten im bunten Treiben abzuwerfen. Doch kommt es wohl nicht in Frage, das Tier durch ein gehorsameres Holzpferd zu ersetzen – schließlich gratulierte der Zar Petipa nach der Premiere persönlich für den Auftritt der berühmten Stute. Und dass die Russen mit ihren Traditionen – trotz aller Variation und Weiterentwicklung – nicht leichtfertig umgehen, zeigte dieser Abend in aller Deutlichkeit.

Besuchte Vorstellung: 10.05.2011

www.operadeparis.fr

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