Noch ungleichwertig: Musik und Tanz

In Rostock zeigt Bronislav Roznos seine „1st Danceworks with Orchestra“

Rostock, 26/09/2011

Rostocks Theatermacher arbeiten derzeit unter alles andere als einfachen Bedingungen. Seit Jahrzehnten wird über einen längst fälligen Neubau gestritten. Jetzt hat die Zeit das Regiment übernommen: Aus diversen Sicherheitsmängeln, auch sie waren den Stadtvätern bekannt, musste das Volkstheater, ohnehin ein Ort solider Scheußlichkeit, urplötzlich geschlossen werden. Aus eigenem Etat bauten sich die Mitarbeiter als Ausweichspielort ein Theaterzelt auf dem Terrain der Neptun Werft, nur wenige Straßenbahnstationen vom Stammhaus. Und landeten damit einen Volltreffer. Auf über 200.000 Euro, so hört man, beliefen sich die Kosten trotz vieler Eigeninitiativen beim Bau. Dass der Bodeneigner den Grund gratis zur Verfügung gestellt hat, ist ein Glücksfall; dass das Zelt so gut gelungen ist, ein zweiter, mindestens ebenso wichtiger. Auf weiter Fläche erheben sich die zwei Zelte strahlend hell. Das kleinere, arabisch anmutend, ist geräumiger Foyerbereich mit Garderobe und Bar und stimmt auf die größere Ausgabe ein. Dort, im eigentlichen Spielzelt mit rund 450 Plätzen bei bester Sicht, beheizbar oder belüftbar je nach Jahreszeit, sitzt man bequem beinfrei unter hoher Kuppel. Edles Schwarz, rot kontrastiert, bestimmt den Raum, Traversen für Licht und Technik umstehen die samtrot verhangene Bühne, vor der sich auf gleicher Ebene wie das Parterre das Orchester befindet. Wenn Lämpchengirlanden festliche Atmosphäre zaubern, fühlt man sich an einen Zirkus erinnert: Die Spannung, mit der man gewöhnlich ein solches Spektakel betritt, schadet auch dem Theater nicht. Insofern wünscht man jenem Theaterzelt, Glück im Unglück, ein langes Leben – wären da nicht die komplizierten Probenbedingungen.

Denn Probenräume gibt es dort freilich nicht. Sie können schon im teilsanierten Volkstheater, wo etwa der Feuersicherheit durch Einbau der vorgeschriebenen Anzahl von Türen Genüge getan ist, wieder genutzt werden. Das Tanztheater Bronislav Roznos, das jenes Theaterzelt in zweiter Vorstellung überhaupt mit der Uraufführung „1st Danceworks with Orchestra“ in Besitz nahm, darf zwar im Ballettsaal proben, Duschen und Garderoben jedoch bleiben verschlossen. So haben die umherziehenden Ensembles dann doch etwas von einem Zirkus. Ab neuer Saison soll das alte Volkstheater wieder verfügbar sein, bis 2018 nur darf es dann noch bespielt werden. Drei Orte für einen Neubau seien bereits im Visier, heißt es. Rostock stehen turbulente Zeiten bevor.

Turbulent ging es auch bei der Uraufführung zu, vereint sie doch, wie der Titel ausweist, erstmals seit Roznos‘ Amtsantritt 2009 live die Sparten Musik und Tanz. Zu beiden Seiten des eigentlichen Orchesterraums sind sie untergebracht, das Klavier und all die Schlagwerke und Xylophone, die jene Kompositionen erfordern, wie der Choreograf sie ausgesucht hat. Kein in sich geschlossenes Stück wollte er nach eigener Aussage, vielmehr eine Folge kleinerer Arbeiten, die sich zum Ganzen ergänzen soll. Robert Schrag hat ihm dafür die Bühne mit fügbaren roten Segmenten derart vollgebaut, dass Tanz kaum mehr möglich ist. Weiße Streifen ädern das Schwarz von Hintergrund und Boden und hätten als Dekoration möglicherweise auch gereicht. Einzige Ariadnefäden durch den zweistündigen Abend sind die Kostüme in Rot und Schwarz, applizierte Kurzkleider für die Frauen, lose Anzüge für die Männer, und die Emotionen, wie sie immer wieder zwischen den Figuren aufwallen. Grundiert wird das im ersten Teil von seltener auf der Tanzbühne zu hörender, teils für den Film geschriebener Musik: von Yann Thiersen als Jüngstem und Alberto Ginastera als Ältestem, weiter Philip Glass, Arvo Pärt, Alberto Iglesias und Schlagzeugeinlagen der Orchestermusiker.

Im Dickicht der mehrfach umstrukturierten Segmente, scheint es, konnte sich Roznos nicht in gewohnter Weise entfalten. Kürzel bleiben viele seiner Choreografien, nicht nur von der Zeitdauer her. Zwischen Hingabe und Sättigung changiert ein Paar; zwei Frauen kommen im Auf und Ab über die Rotteile nicht zusammen. Immer wieder verhindern die Dekostücke flüssigen Tanz. Dass sich der Tanz gegenüber der Musik zudem ehrfürchtig zurückhält, sich an sie duckt, statt sich seinen Weg zu bahnen, ist ebenso bedauerlich wie bisweilen die Platzierung einiger Solomusiker in der Mitte der Szene, direkt hinter dem Tanz. Ein Anfang des Miteinanders indes ist gemacht. Das gelingt besser im Teil nach der Pause. Zu Takashi Yoshimatsus Symphonie Nr. 2 At Terra, op. 43, einem gegen Ende pathetischen Hymnus auf europäische Hörgewohnheiten, lässt Roznos die Geschlechter jenseits der zum Pfeil oder Ausrufezeichen geformten Segmente liegen und gerät choreografisch in Fahrt. Alle Versuche gemeinsamer Liebe aber scheitern, auch der von Frau und Freund gleichermaßen begehrte Mann bleibt allein; zur Apotheose bauen sich die Tänzer dem entstehenden Gebirge aus Segmenten ein. Hung-Wen Chen überzeugt als starke Darstellerin, den Hauptapplaus jedoch fahren Manfred Hermann Lehner und seine Norddeutsche Philharmonie ein.

Wieder 29.9., 23., 27.10., 6., 25.11.

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