Sieben Versuche im Tanzlabor der Semperoper

Junge Choreografen überraschen auf der Bühne Semper2

Dresden, 21/12/2011

Gerade noch waren sie auf der großen Bühne der Semperoper schwebende Schneeflocken, kämpferische Nussknacker oder angriffslustige Mäuse. Zu Beginn der diesjährigen Ballettsaison ließen sie Juwelen in grün, rot und weiß funkeln. Auch wenn in Tschaikowskis Ballett „Der Nussknacker“ oder in George Balanchines neoklassischem Meisterwerk die Genauigkeit choreografischer Vorgaben und technische Beherrschung unvermeidbar sind, bei den Mitgliedern des Semperoper Balletts kommen immer persönliche Präsenz und individuelle Ausdruckskraft dazu. Welche Potenziale da noch vorhanden sind, wird einmal mehr deutlich in der zweiten Folge „Junge Choreografen“. Sieben Beiträge, sieben individuelle Ansätze, sieben Versuche mittels des Tanzes und der Musik sich untereinander kollegial zu stellen, vor allem aber dem interessierten Publikum zu sagen: Das bin ich, das kann ich, und das stelle ich beim aktuellen Stand meines choreografischen Könnens zur Diskussion.

Zu Klaviermusik von Debussy und Ravel, von Johanna Zmeck gespielt, haben Duosi Zhu & Raquél Martinéz, regiemäßig unterstützt von Fabien Voranger, ein Duo kreiert. „Loslassen“, zartes, zerbrechliches Nachinnen über Abschied und Verlust, über Tod und Endgültigkeit, traumhafte Erinnerung verlorener Zweisamkeit. In Anna Merkulovas „Project >BEAUTY<“ zur Musik des Dresdner Künstlers Reentko sehen wir extrovertierten Tanz eines Paares in schwarz. Im Gegensatz dazu eine weiß gekleidete Tänzerin, gänzlich in sich gekehrt, unbemerkt von den Beiden, berührende Momente, kaum verstörend, eher nachdenklich.

Darauf in Caroline Bachs „Same as it ever was“ zunächst ein Solo, eine suchende Frau, was bringt das Urteil der geworfenen Münze, Kopf oder Zahl, Rückzug in die Gewohnheit oder Aufbruch mit allen Unabwägbarkeiten. Die Choreografien lässt ihre Suchende durch ein surrealistisch anmutendes Labyrinth von Menschen mit verspiegelten Gesichtern irren. Jeremy Nedd stellt sich mit „In the lexicon of an homage…“ vor und fragt im Begleittext zur Choreografie wo man da den Trennstrich ziehen solle zwischen Ehrerbietung und Diebstahl. Musik von James Blake und ein belgisches Rundfunkinterview, in dem es wohl um Fragen des Tanzes geht, hören wir zu einem rätselhaften Stilmix für drei Menschen in Sportkleidung und Socken, martialischen, vermummten Gestalten und Tanzkomparsen unter Trauben schwarz-weißer Luftballons. Klare Ansage zum Schluss, die Sportlerin ist nicht hungrig. Wir aber sind längst nicht satt und sehen jetzt „Kindheitstanz“ von Michael Tucker. Das ist eine emotionale, formal durchdachte Miniatur über verlorene Kindheit und die traumtänzerische Vision, sie im Tanz wieder zu finden.

Heißt es „VVVV“ oder ist es ein „W“ mit seinem Schatten, den Titel zur Kreation für vier Tänzerinnen von Johannes Schmidt müssen wir selber finden. Musik von Kate Bush und eine Soundcollage des Dresdner Künstlers Siggy Blooms begleiten die Tänzerinnen in schwarz, zunächst am Boden, dann durch den Prozess der Erhebung und letztlich bei Erkundungen individueller Möglichkeiten. Claudio Cangialosi lässt zu Musik von Reentko, Vivaldi und Rita Bottos exzellenter italienischer Sprachartistik „Scioglilingua“ drei verdrehte Tänzer versuchen dem Diktat mütterlicher Verhaltensregeln zu entkommen. Sie erfahren, dass mindestens zwei Seiten ihre Persönlichkeiten ausmachen und mehr als eine Seele nur in ihren Brüsten wohnen müssen, Masken vor dem Hinterkopf assoziieren Zweigesichtigkeit. Der Tanz um die eigene Identität führt drei Männer in den blutverschmierten Zustand gerade geborener Säuglinge.

Sieben Bekenntnisse junger Tänzerinnen und Tänzer, sieben Experimente und Versuche, sich selbst und uns sehr nahe zu kommen. In den Präsentationen des Könnens und des Scheitern fügt das Maß schonungsloser Ehrlichkeit die sieben Teile zu einem Ganzen.

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