Tanztage Würzburg

Tanztage Würzburg

„Schneewittchen“ als Nicht-Märchenvorstellung

Pick bloggt über die Tanztage bei Anna Vita in Würzburg

Wenn ich auch nur geahnt hätte, wie kurzweilig ein Tanzfest sein kann, wäre ich bestimmt schon vor Jahren nach Würzburg gereist.

Würzburg, 30/07/2015
Wenn ich auch nur geahnt hätte, wie kurzweilig ein Tanzfest sein kann, wäre ich bestimmt schon vor Jahren nach Würzburg gereist. Aber seit dem Weggang von Mario Schröder, der trotz des ausverkauften und mit Standing Ovations gefeiertem „The Wall“ fluchtartig die Stadt verließ, war ich nicht mehr dort. Als ich Anna Vita anlässlich der Verleihung des Tanzpreises an Peter Breuer traf und sie nebenbei bemerkte, dass ich ja noch nie bei ihr gewesen sei, hatte ich vor, ihr „Dornröschen“ anzuschauen – aber es klappte wegen meiner Termine irgendwie nicht. So habe ich jetzt „Schneewittchen“ als Nicht-Märchenvorstellung im Rahmen der Tanztage nachgeholt. So viel Spaß habe ich lange nicht im Theater gehabt, denn da ist eine Erfinderin der leichten Muse am Werk, die man eben nicht auf dieselbe Schulter nehmen darf, auch wenn die Deutschen – oder besser das Feuilleton – es ja immer vergrübelt, absolut tragisch und vor allem innovativ, brauchen. Um Birgit Keil zu zitieren: „Ja, zählt denn Qualität heute überhaupt nicht mehr“? Eine Frage, die sie anlässlich einer Sitzung des Fonds Darstellende Künste stellte. Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Das Stück ist sogar innovativ. Ich hatte mir schon seit ich in Lyon die Breakdancer vor der Oper sah und sie als Pausenclowns vor der Preisverleihung an Katja Wünsche und Yohan Stegli für den „Prix d´Eurovision des Jeunes Danseurs“ agierten, gewünscht dass jemand diese zeitgenössische Form des Tanzens in einen nicht nur sportlichen, sondern auch chorografischen Rahmen brächte. An dieser Stelle die Entschuldigung an alle, die das auch schon getan haben, ohne dass ich es mitbekommen habe.

Anna Vita hat es geschafft, dass auch die sieben Zwerge, die Jungs, die warum auch immer im Wald hausen – mir kommen hier Schillers „Räuber“ in den Sinn – glänzen können. Sie sind weder kleinwüchsig noch irgendwie anormal, sondern super Tänzer-Darsteller. Sie kommen zur Hälfte aus akademischen Tanzausbildungen, sind mit Breakdancern vermischt und man kann die Unterschiede nur mit äußerster Konzentration erkennen. Sie bilden eine Einheit, sind zunächst fast starr vor Bewunderung für das weibliche Wesen in ihrer Behausung und tragen dann natürlich auch Eifersüchteleien aus, bis ein Pizza-Boy ihnen dann die Schau stiehlt. Tja, Pizzabäcker müsste man sein, um so ein geerdetes Mädel zu erobern. Ich sehe sie schon in der Pizzeria arbeiten statt bei ihrer Stiefmutter, die eine Modelagentur unterhält und um jeden Preis ein Mannequin aus ihr machen wollte, ehe sie dann ihre Galane ausschickt, das widerspenstige Ding loszuwerden. Wenn dieser Spiegel nicht wäre, der wie in der Originalvorlage immer wieder sagt: „Ihr seid die Schönste, aber Schneewittchen ist tausend Mal schöner als Ihr“, wäre die Stiefmutter wohl mit ihren Auftritten als fliegende Gifthändlerin ans Ziel gekommen und nicht vor dem Spiegel schließlich im Regen gestanden.

Musikalisch kam das Ganze aus der Konserve, aber auch nach zwanzig ausverkauften Vorstellungen waren Vivaldi und Arvo Pärt eine ebensolche Einheit wie diese sieben Zwerge.

Nachdem ich mit dem absoluten Höhepunkt angefangen habe, nun die Gala, mit Applaus, ja Ovationen des Publikums nicht weniger eindrucksvoll, und die Adressen, aus denen die Tänzer kommen, internationale Spitze: Het Nationale Ballet aus Amsterdam, Estonian National Ballet Tallinn, Mikhailovsky Theatre aus St. Petersburg, das National-Ballet aus Prag, das Danish Dance Theatre aus Kopenhagen und folgende Kompanien aus Deutschland: Stuttgarter Ballett, Staatballett Karlsruhe sowie Theater Nordhausen, die Gastgeber, und die Breakdancer aus Würzburg. Und diese beiden Herren, die sich “Hot Potatoes“ nennen, brachten natürlich das Auditorium zum Siedepunkt. Weil es aber nicht das Ende der Vorstellung war, gaben sie uns noch eine Lektion, wie man noch ein da capo herauskitzelt und so hatten die beiden charmanten Tschechen Andrea Kramešová und Dmytro Tenytskyy keine Chance mit ihrem Pas de deux aus dem „Nussknacker“ noch einen drauf zu setzen. Wie eine Farce wirkte erst recht das Paar aus St. Petersburg mit dem „Esmeralda“-Pas de deux: er weit über den Zenit seines Könnens hinaus und sie zwar technisch alles abliefernd, das aber auf Kosten der Musikalität. Leider war der Solobeitrag „lost and found“ aus Nordhausen, Choreografie Jutta Ebnother, zu lang. Ich fand darin leider nichts, ich hatte aber auch nichts verloren.

Anna Vita und der Dramaturg Christoph Blitt, der auch für das schöne Programmheft verantwortlich war, führten kurzweilig durchs Programm. Ich hätte mir allerdings mehr Information zu den Choreografen und Tänzern gewünscht – anstatt des Lebenslaufs der Pianistin, die Louis Stiens (nicht nur Erfinder eines selbstgetanzten Solos) begleitete. Es war zumindest zur Hälfte ganz witzig.

Aus Tallinn glänzte die Kanadierin Abigail Sheppard und ihr schwedischer Partner Gabriel Davidsson im „Feuervogel“. Die besonders starken Techniker Suzanna Kaic und Edo Wijnen aus Amsterdam kamen mit einem Duett des Spaniers Juanjo Arques. Im wahrsten Sinne des Wortes spitzenmäßig, stilistisch zwischen Billy Forsythe und Nacho Duato aus dem Ballett „Minos“ – und liebevoll von Anna erklärt. Schade, dass ich nichts davon auf der Bühne wiederfand.

Dann hatten wir die Stuttgarter Männer Robert Robinson und Louis Stiens, der auch für den Titel „Speedi“ und die Choreografie zeichnet, und speedy war es auch, wenn ich den Titel richtig verstanden habe. Es gab noch das Stück „Who cares“ des Armeniers Armen Hakobyan, der jetzt in Essen engagiert ist, das von Kaori Morito und Davit Bassénz, Solisten der Würzburger Kompanie, getanzt wurde. Auch wenn ich mich sonst fast immer besonders schwer mit englischen Titeln tue: Diesmal waren viele schlüssig, wenn auch nicht nur im positiven Sinne. Und so war es auch mit „Apology“ desselben armenischen Choreografen, der für vier Würzburger Solisten Choreografien für ein reales und ein Schattenpaar, Zoya Ionkina, Camilla Matteucci, Timothy Szczepkowsi-Collins und Aleksey Zagorulko, kreiert hat.

Aus dem zwangsläufig stilistischen Eintopf einer Gala ragten die beiden Herren aus Karlsruhe, Reginaldo Oliveira und Arman Aslyzadian, heraus. Wie der Name schon verrät, ist letzterer ebenfalls armenischen Geblüts. Er ist auch Schöpfer des witzigen Stücks „Two 4 One“, das durch Projektionen das Paar verdoppelt und Kostüme mit Barcode-Streifen aufweist. Ich glaube aber nicht, dass Birgit Keil sie zum Preis von einem ziehen ließe. Das Duett aus dem Werk „Black Diamond“ aus Kopenhagen wurde von Emily Nicolaou und Fabio Liberto eindrücklich getanzt. Ich bin sicher, der Choreograf Tim Rushton wäre stolz auf die beiden in seinem Stück, das ähnlich skurrile Seiten hat wie „Äffi“ von Marc Goecke, das in jeder Gala gern gesehen ist. Besonders, wenn Robert Robinson so gut drauf ist wie an diesem Abend! Blumen und endloser Applaus, der nicht schwer fiel, weil der Abend unter drei Stunden blieb und – wie man weiß – des Künstlers Lieblingsnahrung ist. Infolgedessen wurde nicht übermäßig zugelangt beim anschließenden Büffet, für das Anna den Sponsoren herzlich dankte.

Nun bleibt mir noch, über Anna Vitas Abend im „ganz kleinen Haus“ mit „Carmen“ in der musikalischen Bearbeitung Schtschedrins zu berichten, in der die Choreografin einmal mehr beweist, dass sie Theater im Blut hat. Sie erzählt diese Moritat ohne Schnickschnack wie´s sich gehört, ohne auf Lokalkolorit zu verzichten und es in eine Jetztzeit zu zerren – was besonders in einem solch kleinen Raum ohne Schnürboden durchaus denkbar wäre. Dann und wann fürchtet man, dass einer der Protagonisten in diesem beengenden Raum mit dem Kopf im Gestänge der Beleuchtung hängen bleibt; z.B. bei double tours, zB. dass Carmen aus einer der Hebungen ohne ihr reizvolles Gesicht abgesetzt wird. Also Spannung pur – sowohl von Seiten des Herrn Mérimée, als auch dieses guten Ensembles, das sich eben nicht zurücknimmt, wenn es “grenzwertig“ wird.

Kommentare

Noch keine Beiträge