„Kammerballett“ von Hans van Manen. Tanz: Martí Fernandez Paixa, Alicia Amatriain, Jason Reilly, Pablo von Sternenfels, Daniel Camargo, Anna Osadcenko

„Kammerballett“ von Hans van Manen. Tanz: Martí Fernandez Paixa, Alicia Amatriain, Jason Reilly, Pablo von Sternenfels, Daniel Camargo, Anna Osadcenko

Große Spannungen, fließende Harmonie

Zum neuen Tanzabend „Kammerballette“ in Stuttgart: van Manen / Tetley / Kozielska

Zwei der ganz Großen der Ballettwelt und eine Neuentdeckung präsentiert dieser Ballettabend, der sich wunderbar ins Stuttgarter Programm einfügt. Einen neuen Aufreger gibt es jedoch auch diesmal nicht.

Stuttgart, 10/03/2016

Es ist ein Werk von Hans van Manen, das dem neuen Stuttgarter Tanzabend den Namen eingetragen hat. Das 1995 im Nederlands Dans Theater uraufgeführte Werk „Kammerballett“ versammelt alle Komponenten, die für diesen Choreografen so typisch sind: Eine hoch energetische Konstellation von vier Tänzerinnen und vier Tänzern auf einem runden weißen Tanzteppich, wo mit präziser Eleganz auf halber Spitze kleine menschliche Abgründe verhandelt werden. Manchmal reichen schon ein Blick und eine Geste, wenn die Akteure zu wechselnder Klaviermusik (Karayev, Scarlatti, Cage) mit einem Hocker in der Hand die Bühne betreten. Die Kostüme von van Manens Hausausstatter Keso Dekker suggerieren, dass hier Paare die ideale Ergänzung finden könnten – aber so einfach gestaltet sich die Sache keineswegs. Am Ende bleibt Alicia Amatriain nach einem berührenden Solo allein... Mit diesem Werk hat Stuttgart insgesamt 25 van Manen-Ballette im Repertoire, so viel wie sonst keine andere Kompanie außerhalb der Niederlande. Der scheidende Stuttgarter Ballettdirektor Reid Anderson ist mit Recht stolz auf die intensive Beziehung zu dem prominenten Weltklasse-Choreografen, der bei der Stuttgarter Premiere den großen Beifall sichtlich genoss.

Glen Tetley, der zweite Choreograf dieses Abends, feierte vor kurzem seinen 80. Geburtstag und steht daher in diesem Jahr besonders im Fokus der Stuttgarter Aufmerksamkeit. Immerhin war der Amerikaner für kurze Zeit Ballettdirektor in Stuttgart, als Nachfolger des viel zu früh verunglückten John Cranko. Aber Tetley, zu seiner Zeit für seinen Mix aus klassischem und modernem Tanz und seine zeitgenössische Musikwahl öfters als ‚zu modern’ verschrien, arbeitete lieber als Freelancer. Auch eine kurze Zeit als Kodirektor mit van Manen beim Nederlands Dans Theater blieb Episode. Unvergessen freilich ist seine Choreografie „Arena“, die 1969 dort Premiere hatte und vier Jahre später schon einmal in Stuttgart gezeigt wurde. In diesem Stück, dessen Titel auf antike Gladiatorenkämpfe anspielt, treffen sechs nur mit hautfarbenen Slips bekleidete Muskelmänner aufeinander – strotzend vor Adrenalin und Testosteron. Was allerdings vor über 40 Jahren im Zuge der sogenannten sexuellen Revolution das Publikum zu provozieren vermochte, wirkt heute angesichts einer auch im Tanz weit ausgefächerten Genderdebatte ein wenig altbacken – daran konnte auch die engagierte Stuttgarter Tänzerriege nichts ändern.

Gut, dass an diesem Abend auch ein Blick in die Zukunft gewagt wird. Mit Katarzyna Kozielska präsentiert Reid Anderson eine Hoffnungsträgerin der hauseigenen Talentschmiede. Für ihren ersten Auftrag mit einer größeren – zehnköpfigen - Besetzung suchte sie sich das Thema „Neurons“ aus und ließ ihre KollegInnen mit eleganter Leichtigkeit immer neue Verknüpfungen bilden. Hier wächst tatsächlich eine Choreografin heran, die Spitzentanz in eine attraktive zeitgenössische Ästhetik überführen kann, mit quasi leichter Hand und nicht ohne Witz. Mit dem Eingangsbild – einer futuristisch ausgestatteten Tänzerin in einem Scheinwerferkranz wie von Lichtpfeilen gefangen – bewies sie auch ein geschicktes Händchen für attraktiven Bühnenzauber (der freilich mehr eine freie Assoziation zum Thema blieb).

Der neue Ballettabend passt also nahtlos ins Stuttgarter Programm, dem man bei allem Respekt doch mal wieder einen aktuellen richtigen Aufreger wünschen möchte, vom Format, wie es „Arena“ seinerzeit sein konnte.
 

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