„ROUGHHOUSE“ von Richard Siegal

Sprachenwettstreit

Porträt des Ballet of Difference im Vorfeld von "ROUGHHOUSE" am Schauspiel Köln

"ROUGHHOUSE" heißt die neue Produktion von Richard Siegals 2016 in München gegründeter Kompanie, dem Ballet of Difference. In der Beschäftigung mit Sprache und Bewegung nimmt die nahende Premiere eine weitere Facette des Differenz-Begriffs in den Blick.

Köln, 18/12/2018

Dicke Weichbodenmatten stapeln sich im Probenraum des Schauspiel Köln. In der einen Ecke steht ein Konferenztisch, voller Flaschen, Tassen und Textskripten, in der anderen Ecke finden sich Yogamatten, Barrenholme, Trainingskleidung. Schon der erste Blick auf das Probensetting verrät viel darüber, was in Richard Siegals neuer Produktion „ROUGHHOUSE“ verhandelt wird: Bewegung und Sprache, das Verhältnis zwischen Tänzer*innen des Ballet of Difference und Ensemblemitgliedern des Schauspiel Köln.

Diese Aushandlung scheint nicht nur auf Harmonie und Gemeinsamkeiten zu beruhen. Bedeutet doch „ROUGHHOUSE“ so viel wie toben, raufen oder sogar misshandeln. Gerangelt wird im Probenprozess um Wissen – tänzerisches wie schauspielerisches – und um Handwerk, verschiedene künstlerische Praktiken, die Grenzen zwischen den Disziplinen.

„ROUGHHOUSE“ ist die sechste Produktion im Repertoire des Ballet of Difference, einer von Siegal 2016 in München gegründeten Truppe, und nimmt eine weitere Facette des Differenz-Begriffs in den Blick. Denn seine Identität hat das Ballet of Difference den Unterschieden verschrieben: von Geschlecht, Nationalität, sexueller Orientierung, kultureller Herkunft. So sollen die normativen Grenzen der Gesellschaft ausgelotet werden.

Allerdings wurde immer wieder Kritik daran laut: Die Körper seien nicht divers genug, in der Kompanie fänden sich lediglich hochvirtuose Tänzer*innen mit exzellenter Balletttechnik, und die gesetzte Heterogenität sei längst Norm in den international durchmischten Tanzkompanien. Wie unterscheidet sich Siegals Ballet of Difference also davon? Was erscheint anders?

Die Zuspitzung findet – neben der bewussten, im Ballett unüblichen Demonstration von Individualität – hauptsächlich auf inhaltlicher und konzeptueller Ebene statt. Konzentrierte sich das Signaturstück „bod“ auf das Sampeln verschiedener Tanzstile mit klassischem Ballettvokabular und thematisierte ein mit Pathos aufgeladenes, skizzenhaftes Trio die Geschlechtsumwandlung der Whistleblowerin Chelsea Manning, schuf Siegal mit „Made for Walking“ vergangenes Jahr ein beeindruckendes künstlerisches Experiment mit schweren Boots und Polyrhythmen. Das sind allesamt Stücke, die mit und über Differenzen spielen.

Wie schon in den interdisziplinären Formaten seiner Produktionsplattform „The Bakery“ entsteht bei Siegal, dem Ex-Forsythe-Tänzer, Vielfalt durch die Verwendung disparater Mittel und einem schier unendlichen Pool an Möglichkeiten. Gerade die virtuose Balletttechnik im Feld der zeitgenössischen Künste und die nonchalante Nichtbeachtung der Trennlinien von Stilen, Genres und Disziplinen unterscheidet das Ballet of Difference von anderen Tanzkompanien. Und so schafft Siegal ein Bild davon, was Ballett im 21. Jahrhundert eben auch sein kann. Das ist es, was letztlich die Grenzen einer nach wie vor als homogen geltenden – allein durch strenges Training normierte Körper und Bewegungen hervorbringenden – Kunstform sprengt.

Nicht vordergründig die Körperlichkeit, sondern Perspektivenvielfalt auf Themen und ästhetische Mittel liefern in ihrer Unvorhersehbarkeit Differenz. „ROUGHHOUSE“ ist demzufolge erneut eine Richtungsänderung des amerikanischen Choreografen. Denn das Ballet of Difference wird diesmal zum Hybrid, und seine Form mäandert soweit, dass sich die Truppe und ihr Choreograf am Schauspiel Köln zu einem Sprechtheaterstück hinreißen lassen. Die Schauspieler*innen kapern die Kompanie, treten in Dialog mit den Tänzer*innen. Wo findet sich hier das Ballett, wo die Bewegung?

Das wird sich wohl erst bei der Premiere kommenden Donnerstag im Depot des Schauspiel Köln zeigen. Die slapstickhafte Anfangsszene lässt freilich erst mal wenig Tanz vermuten. Siegal hat für die vier Tänzer*innen und fünf Schauspieler*innen ein Textskript verfasst, das nicht selten nach babylonischer Sprachverwirrung klingt. Das Thema will er noch nicht verraten, lustig sollte es sein, und voller politischer Untertöne. ‚Roughhousing‘ als Sozialisierungsprozess gibt hier den Rahmen und ist zugleich Ort, an dem sich die verschiedenen Mitstreiter*innen versammeln und austauschen konnten. „Wir mussten erst mal ein Ensemble werden und mit den verschiedenen Arbeitskulturen und Traditionen umgehen lernen“, merkt Siegal an. „Nicht nur zwischen freier Szene und Stadttheater, sondern auch zwischen text- und bewegungsbasiertem Theater.“

Deshalb hat er seinen Probenprozess auf zwei Arten begonnen: Einerseits gab es da die klassische Textarbeit und Szenenstudien, andererseits jeden Morgen Trainingseinheiten des Sportwissenschaftlers Patrick Rump, mit dem Siegal bereits für sein im Rahmen des Münchner Dance-Festivals 2012 uraufgeführtes Solo „Black Swan“ kooperierte. Herausfordernd waren die Übungen für Tänzer*innen und Schauspieler*innen gleichermaßen, rissen sie doch alle aus ihrer Komfortzone, so dass sich niemand mehr auf die eigene Expertise berufen konnte. Siegal interessiert an der Arbeit Rumps, der regelmäßig mit Theater- und Tanz-Ensembles trainiert, die körperliche Dramaturgie seiner sportwissenschaftlichen Konzepte. Die Proben hätten ihnen abverlangt, sich auf ein Nicht-Wissen einzulassen, hätten sie verletzlich gemacht und in der Verbindung von Tanz und Schauspiel in eine Art Wettstreit geführt, bei dem jeder und jede gewonnen hat – solange sie dafür offen waren, sich gegenseitig zu beobachten und voneinander zu lernen.

Was bei den Proben durchscheint, sind die unzähligen Übersetzungsprozesse: zwischen den Körpern, zwischen Bewegungen und Worten, den verschiedenen Medien im Format der Bühnenarbeit. Verstehen und Missverstehen liegen in diesem Prozess nah beieinander. Siegals Interesse liegt dabei auf den Funktionsweisen von Sprache. Ihm gehe es mehr darum, wie wir miteinander sprechen, als über was, also „um, was wir uns kümmern, wenn wir miteinander kommunizieren, wie sich Aufmerksamkeit dabei spaltet, zersetzt und kooptiert. Und wie ein Körper überhaupt Worte und Laute produzieren kann. Sprache ist Waffe, aber auch Tool zur Übersetzung, ein Versuch, Erfahrungen in etwas anderes zu überführen.“

 

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