„Flow“ von Katarzyna Gdaniec und Marco Cantalupo. Tanz: Compagnie Ligna

„Flow“ von Katarzyna Gdaniec und Marco Cantalupo. Tanz: Compagnie Ligna

Ganz einfach im Fluss bleiben

Die Compagnie Ligna eröffnet das Festival Tanz!Heilbronn mit „Flow“

Die elfte Ausgabe des Festivals für zeitgenössischen Tanz widmet sich dem Motto „un/angepasst“ und lotet die Vielschichtigkeit menschlicher Gesellschaften aus.

Heilbronn, 24/05/2019

Wildtierherden, Fisch- und Vogelschwärme üben eine überwältigende Faszination aus, weil sie sich als Gruppe im völligen Einklang mit einander bewegen können – ohne sicht- oder hörbares Kommando. Die überaus sensible Wahrnehmung ihrer Nachbartiere erlaubt es ihnen, Bewegungen wie selbstverständlich zu synchronisieren, aber auch plötzliche Tempo- und Richtungswechsel störungsfrei mitzumachen. Tiere können es, Menschen erfahrungsgemäß nicht: in einer großen Gruppe ganz einfach im Fluss bleiben.

Die Schweizer Compagnie Ligna trat zur Eröffnung des Festivals „TANZ!Heilbronn“ den Gegenbeweis an. Die vier Tänzerinnen und drei Tänzer bewegten sich in „Flow“, choreografiert von Katarzyna Gdaniec und Marco Cantalupo, gemeinsam nach den faszinierenden Vorbildern aus der Natur. Die hier geforderte Achtsamkeit endet gerade nicht bei hipper Selbstoptimierung, sondern schließt in jedem Augenblick den Kontakt mit den Nebenstehenden, dem Gegenüber und der Dynamik der ganzen Gruppe mit ein. So gelingt eine Gemeinsamkeit in Bewegungsabläufen von sanft bis hoch athletisch, die weit über gängige synchrone Formationen hinausreicht. Ein faszinierender Soundtrack des Duos Keda, in dem das traditionelle koreanische Instrument Geomungo in einen Dialog mit elektronisch erzeugten Rhythmen und Klängen tritt, sichert diesem Stück einen hypnotischen Sog. Die Deutschlandpremiere wurde entsprechend heftig bejubelt.

Im Heilbronner Theater, das nicht über eine eigene Tanzsparte verfügt, hat sich die Präsentation von zeitgenössischem Tanz im Festivalformat – in diesem Jahr in der elften Ausgabe – zum Erfolgsmodell entwickelt. In Zeiten, in denen die Fähigkeit, auf einander einzugehen, in sozialen Gruppen immer mehr zu schwinden scheint und anstelle anspruchsvoller Selbstorganisation immer öfter der Ruf nach starker politischer Führung erklingt, hat die Wahl eines solchen Stücks auch eine politische Dimension. Karin Kirchhoff, Kuratorin von „TANZ!Heilbronn“, hat hier einmal mehr ein Händchen für die höchst aktuelle Präsentation von zeitgenössischem Tanz unter Beweis gestellt: Das Festivalmotto „un/angepasst“ thematisiert aus unterschiedlichsten Perspektiven das Verhältnis des Einzelnen zur sozialen Gemeinschaft.
 

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