Jessica Nupen „The Nose“, Probenfoto

„The Nose“ von Jessica Nupen, Probenfoto

Abgebremst aus vollem Lauf

Jessica Nupens „The Nose“ - Produzieren im Lockdown

Was macht eine Tänzerin und Choreografin, wenn ihr aufwändig geplantes und inszeniertes neues Stück im Zuge des Corona-Lockdowns vier Tage vor der Weltpremiere abgesagt wird? Ein Gespräch mit Jessica Nupen.

Hamburg, 31/05/2020

Seit zwei Jahren arbeitest Du an diesem Werk, hast unendlich viel in Bewegung gesetzt und Geld gesammelt, damit „The Nose“ in die Welt kommt. Und jetzt das. Wie war das für Dich?

Jessica Nupen: Ein Schock! Wir waren ja im Endspurt und wurden schlagartig aus vollem Lauf von 200 auf Null heruntergebremst. Es war ein Gefühl, als würde etwas sterben. Wir haben bei „The Nose“ 21 Leute auf der Bühne sowie 15 im kreativen Team und insgesamt mit Technik und allem Drum und Dran über 40 Menschen, die darauf gepolt waren, 150 Prozent zu geben und dann komplett ausgebremst wurden. Das war schon heftig. Aber erst einmal war es ein riesiger administrativer Aufwand, all das zu managen – darauf war niemand von uns vorbereitet. Einen Monat waren wir nur damit beschäftigt, alles zu regeln. Wir haben wie Maschinen gearbeitet, einfach nur noch funktioniert. Der emotionale Breakdown kam viel später.

Ihr habt namhafte Förderer und Kooperationspartner für „The Nose“ gewinnen können. Wie haben die reagiert?

Die Förderer und Koproduzenten wussten auch nicht, wie es weitergeht. Wir haben ja große Namen an Bord: die Kulturstiftung des Bundes, den Turn Fond, der Kulturprojekte zwischen Deutschland und Südafrika unterstützt und nur sehr wenige, ausgewählte Projekte; die Internationalen Maifestspiele in Wiesbaden als Kooperationspartner – das ist etwas sehr Besonderes, weil das ein renommiertes Festival für große Operntheater ist; und natürlich Kampnagel, die Hamburgische Kulturstiftung, die Rudolf Augstein Stiftung, die Ammer Stiftung und andere mehr. Als Tanz-Rap-Oper mit südafrikanischen Darsteller*innen waren wir da schon einzigartig. Als dann die Absage des Turn Fond kam, waren wir fast erleichtert. Wir hätten sonst gar nicht gewusst, wie wir nach Wiesbaden hätten fahren sollen – Südafrika war ja auch im totalen Lockdown.

Wie seid Ihr dann vorgegangen?

Das Positive war, dass wir für die Anträge für diese Förderung schon so viel vorbereiten mussten, dass wir auf fast alles gut reagieren konnten. Mein Team hat das großartig hinbekommen – ich bin sehr stolz auf alle, und wir haben auch ein sehr gutes Feedback bekommen.

Und was passiert jetzt?

Wir haben seit Mai 2018 an diesem Projekt gearbeitet, also knapp zwei Jahre. Diese Arbeit war nicht vergebens. Aber wir wissen natürlich überhaupt nicht, was kommt. Wir können nicht planen. Das ist sehr hart, wenn man so kurz vor der Vollendung steht. Ich muss das Projekt weiter leiten und weiterführen, ohne zu wissen, wann es realisiert werden kann. Die Förderung des Turn Fond endet im September. Bis dahin werden wir sicher nicht auftreten – darüber können wir selbst nicht bestimmen, wir sind dem unterworfen, was die Regierung anordnet. Wir unterliegen bei diesem Fond aber sehr strengen Regeln, weil das Geld aus Steuermitteln kommt. Zum Glück waren die Leute dort sehr verständnisvoll. Aber es gibt eben eine Reihe von Regeln, und wir wissen nicht, welche davon dann doch auf uns angewandt werden. Wir können nur abwarten. Die Festivals im Sommer sind ja alle abgesagt. Wir müssen versuchen, das in die nächste Spielzeit zu schieben.

Wie war das für Dich? Du bist ja beides: Chefin und Künstlerin. 

Das war eine sehr interessante Situation. Ich musste das alles managen und als Direktorin einen Plan haben für meine Mitarbeiter*innen. Andererseits hatte ich lebendiges Stück kreiert. Und wenn sich die Zeiten so dramatisch ändern, wirkt sich das natürlich auch auf das Stück aus. Es wird nicht so bleiben, wie es bisher war. Wenn wir dann tatsächlich einmal die Premiere ins Auge fassen können, brauchen wir vorher ausreichend Zeit, um diese Erfahrung mit einzuarbeiten. Das kostet auch wieder Geld. Amelie Deuflhard von Kampnagel weiß das und unterstützt uns, obwohl ein nagelneues Budget weit über das hinausgeht, was wir derzeit haben.

Was plant Ihr zurzeit?

Die Corona-Krise gibt uns am ehesten die Möglichkeit, eine Tour zu planen. Wenn alles klappt, wird es nächstes Jahr in Verbindung mit den Wiesbadener Mai-Festspielen weitergehen. Die Uraufführung soll auf Kampnagel sein, dann wollen wir nach Wiesbaden, danach nach Kanada zum TransAmérique Festival nach Montreal.

Wie stemmst Du die Finanzen?

Wir haben jetzt einen Antrag eingereicht bei der Hamburgischen Kulturstiftung. Wir hoffen, dass wir diese Förderung bekommen, um die weitere Arbeit zu finanzieren.

Wie soll diese weitere Arbeit konkret aussehen?

Zum Glück haben wir ausgerechnet am 13. März, unserer letzten Durchlaufprobe, gefilmt. Damit haben wir Material zum Vorzeigen. Wir könnten eine vereinfachte, kleine digitale Premiere machen, nicht nur als Promotion, sondern vielleicht als Diskurs, als Einblick in den künstlerischen Prozess seit Juli 2019. Wir haben Aufnahmen von allen Proben in Johannesburg und Kapstadt, aus Kanada, wo der Komponist von „The Nose“ herkommt, von Gut Siggen bei der Töpfer Stiftung und aus der K6 auf Kampnagel. Daran kann man gut nachvollziehen, wie sich so ein international aufgestelltes Projekt mit Künstler*innen aus aller Welt gestaltet, künstlerisch wie organisatorisch. Wir konnten nicht immer alle zusammen reisen. Die Sänger*innen haben das Bühnenbild nicht gekannt, die Tänzer*innen nicht den Komponisten und so weiter. Deshalb haben wir von allen Proben Aufnahmen gemacht – das kommt uns jetzt zugute. Es ist schon spannend, wie das alles zusammenkommt. Vielleicht machen wir daraus auch eine Art Dokumentarfilm, der dann als Vergleich für die spätere Weltpremiere dienen kann. Und der Fragen bearbeitet wie: Welche Auswirkungen hat die Situation jetzt auf die Künstler*innen? Wie entwickelt sich das Stück weiter, was bleibt, was ändert sich? Es ist eine gute Gelegenheit, einen Schritt zurückzutreten und das Stück nochmal von einer anderen Warte aus zu betrachten.

Bist Du jetzt schon damit unterwegs?

Ich nehme Online-Kurse in zeitgenössischer Kunst an der Yale University in USA und am Museum of Modern Art in New York. Das ist „social activism in art“ – wie nutzt man die Kunst für soziale Aktivitäten? Dafür hatte ich bisher nie Zeit – die Corona-Krise ermöglicht es mir jetzt. Zusammen mit meiner Dramaturgin Maria Isabel Hagen habe ich neulich ein Forschungsstipendium für eine Neuproduktion eingereicht, die 2021 auf Kampnagel über Einsamkeit und Solidarität uraufgeführt werden sollte. Dieses Konzept hat gerade in dieser Zeit eine besondere Relevanz, und ich bin gespannt darauf, mich da hineinzuvertiefen. Bisher habe ich immer nur Anträge geschrieben, choreografiert und geprobt. Jetzt kann ich mal wieder ruhig sitzen und etwas studieren. Und lesen! Das konnte ich auch kaum, weil nie Zeit dafür war. Ein*e Künstler*in braucht aber auch Zeit für solche Dinge und für sich selbst. Ich kann jetzt psychisch verarbeiten und mich inspirieren lassen, dafür braucht man das Alleinsein. So hat alles auch sein Gutes!
 

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