Der Sturm von Krzysztof Pastor, Abbas Bakhtiari als alter Prospero

Enttäuschendes Gastspiel

Das Polish National Ballet mit „The Tempest“ bei den Hamburger Ballett-Tagen

Die Adaptation von Shakespeares „Der Sturm“ von Krzysztof Pastor geriet zu einem zwar hervorragend getanzten, aber choreografisch enttäuschenden Abend.

Es passiert nicht so oft, dass das Hamburger Publikum während der Ballett-Tage gleich zweimal die Gelegenheit bekommt, andere Choreografien als die ihres Ballett-Intendanten kennenzulernen. Nach „The Winter’s Tale“ zum Auftakt (siehe tanznetz vom 21. Juni 2022) gab es jetzt im Rahmen des Gastspiels des Polnischen Nationalballetts „Der Sturm“ nach William Shakespeare in einer Adaptation seines Direktors Krzysztof Pastor zu sehen, ursprünglich 2014 für das Niederländische Nationalballett geschaffen. Gleich zweimal Shakespeare also, mit unterschiedlichen Themen in zwei sehr unterschiedlichen Interpretationen. Das hätte durchaus reizvoll sein können, geriet hier jedoch beim Gastspiel des Polnischen Nationalballetts leider zu einer Enttäuschung. Die Choreografie, die Krzysztof Pastor sich ausgedacht hatte, konnte nicht wirklich überzeugen, geschweige denn faszinieren – die Schrittfolgen wiederholten sich in schöner Regelmäßigkeit – bei den Soli ebenso wie bei den Pas de Deux und den Ensembles. Es wäre interessant, mal zu zählen, wie viele Grand Jetés und Battements die Tänzer*innen zeigen mussten. Es waren derer jedenfalls erdrückend viele.

Dabei könnte die Geschichte von Prospero, dem mit seiner Tochter Miranda auf eine Insel vertriebenen Herzogs von Mailand, einiges hergeben. Alt geworden erinnert er sich in vier Etappen an sein Leben. Die Erinnerungen werden jeweils über einen Sturm heraufbeschworen, der vom Luftgeist Ariel ausgelöst wird. In einem Prolog sitzt Prospero an einen großen kahlen Baumstamm gelehnt auf der ansonsten leeren Bühne und sinniert vor sich hin, begleitet von ätherischen Gesängen, während über den gesamten Bühnenhintergrund ein Video projiziert wird. Es zeigt – schon während der Zuschauerraum sich langsam bei offenem Vorhang füllt – einen Strand, dann – nachdem das Licht ausgegangen ist – ein geschlossenes Auge, es gehört zu einer Frau, die sich an einen Baum lehnt, mit ihm zu verschmelzen scheint. Der Luftgeist Ariel erscheint, der Mann steht auf und beginnt, seine Trommel zu schlagen – sie symbolisiert das Brausen und Toben des Windes. Der Mann in der Rolle des alten Prospero ist Abbas Bakhtiari, ein iranischer Musiker und Virtuose auf der Daf-Trommel. Immer wenn Ariel den Sturm ruft, erhebt er sein Instrument, zusammen mit einem weiteren Percussionisten im Orchestergraben (Krysztof Szmanda), sowohl vom Bühnenrand aus, als auch mitten im Geschehen. Den musikalischen Hauptteil bestreiten Einspielungen vom Band mit Werken von Henry Purcell, Thomas Tallis, Robert Johnson, Matthew Locke und Michel van der Aa. Von Abba Bakhtiari jedoch, von seiner ganzen Persönlichkeit und vor allem seiner Virtuosität im Umgang mit der Daf-Trommel, geht eine eigentümliche Faszination aus, sein edles Antlitz wird immer mal wieder im Video in Großaufnahme gezeigt. Seine Auftritte sind ganz sicher mit das Eindrucksvollste an diesem Abend.

Als Ariel zum ersten Mal den Sturm heraufbeschwört, erinnert sich Prospero – jetzt als Tänzer – an seine Ankunft auf der Insel, die von Eingeborenen und deren Anführer Caliban bewohnt war. Natürlich ist Caliban fasziniert von Prosperos Tochter Miranda, aber dieser wacht eifersüchtig über deren Unschuld. Der zweite Sturm spült dann zwei ehemalige Rivalen Prosperos mit dem jungen Prinzen Ferdinand ans Ufer, und es kommt, wie es kommen muss: Miranda und Ferdinand verlieben sich, was Prospero und Caliban überhaupt nicht passt. Mit Sturm Nummer 3 entdeckt Caliban die beiden Schiffbrüchigen und es entbrennt ein großer Streit, in dessen Verlauf sich Caliban schließlich mit Prosperos Feinden gegen diesen verbündet – er hat es ja immer noch auf Miranda abgesehen. Ariel wiederum will Prospero retten und hetzt eine wilde Hundemeute auf die Angreifer, die dann aber doch ungeschoren davonkommen. Natürlich finden auch die Liebenden zum Schluss zusammen, und alle versöhnen sich, während Prospero erkennt, was er alles verloren hat – und so endet das Ganze im Epilog mit dem Schmerzensschrei des alten Prospero.

Das Problem bei Pastors Inszenierung sind neben den redundanten Schrittfolgen die oft übertriebenen Gesten der Protagonisten, kombiniert mit der Videoprojektion im Hintergrund, für die Shoja Azari und Shirin Neshat verantwortlich zeichnen. Sie lenkt vom Tanz mehr ab, als dass sie wirklich ein dramaturgisch sinnvolles Element darstellt. Dies auch, weil das Gezeigte manchmal ins ungewollt Komische abdriftet, zum Beispiel wenn dort zähnefletschende Bluthunde in Großaufnahme gezeigt werden, während das Corps de Ballet mit großen Wolfshundmasken über die Bühne stürmt… Gewöhnungsbedürftig ist es auch, wenn der kahle Baum plötzlich herniedersinkt und dann in den Himmel schwebt – warum, das erschließt sich dem unbedarft Zuschauenden nicht wirklich. Er muss dafür schon die Handlung kennen (und die Erläuterungen dazu gibt es nur, wenn man das teure Jahrbuch des Hamburg Balletts ersteht, ein eigenes Programm für den Abend gibt es nicht, nur einen Besetzungszettel). Wenig hilfreich sind auch die weitgehend monoton eingesprochenen Shakespeare-Zitate, weil sie mehr ein Stimmungsbild abgeben, aber sonst wenig zum Verständnis beitragen.

Nichtsdestotrotz warfen sich die Tänzer*innen mit voller Verve ins Getümmel – Vladimir Yaroshenko als Prospero, Chinara Alizade als Miranda, Maksim Woitiul als Ferdinand, Pyota Kitai als Caliban und Kristóf Szabó als Ariel. Sie alle retten zusammen mit dem gesamten Ensemble an diesem Abend, was gerade eben noch zu retten ist.

 

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