„Solo for Claudia and Josephine / Bodies of Light“ von Isabelle Schad. Tanz: Claudia Tomasi & Josephine Findeisen

„Solo for Claudia and Josephine / Bodies of Light“ von Isabelle Schad. Tanz: Claudia Tomasi & Josephine Findeisen

Fluide Anatomie des Tanzes

„Solo for Claudia and Josephine/Bodies of Light“ von Isabelle Schad in der Tanzhalle Wiesenburg

Eine sensible Auseinandersetzung mit der Sinnlichkeit des Tanzes, die sich der Banalität des Spektakels entzieht.

Berlin, 16/09/2022

Von Andrej Mircev

 

Bevor die letzten Sonnenstrahlen verschwinden, versammelt sich das Publikum in den Höfen der Tanzhalle Wiesenburg in Berlin, wo die neue Arbeit von Isabelle Schad „Solo for Claudia and Josephine/Bodies of Light“ gezeigt wird. Die Tänzerinnen Claudia Tomasi und Josephine Findeisen entwickeln hier ihr Bewegungsmaterial anhand der gleichen Partitur wie das Solo „Solo for Lea“ (2016), das nun verdoppelt und gespiegelt wird.

Die Aufführung findet in einer effektvollen Lichtatmosphäre von Bruno Pocheron statt, welche den Tänzerinnen eine besondere Aura verleiht. Zusammen mit der minimalistischen Geräuschkulisse von Damir Šimunović setzt die Choreografie einen konzeptuell stimmigen optisch-akustischen Rahmen. Das Duett entfaltet sich so als sinnlich intensive Reise, deren Rhythmus reizvolle und merkwürdige Körperbilder hervorbringt. Die Figuren, die die Tänzerinnen generieren, wechseln dynamisch zwischen Präsenz und Abwesenheit sowie zwischen Gestalten, die man assoziativ mit unterschiedlichen Tieren, Objekten, Situationen, aber auch völlig abstrakten Figuren, Topoi und Ereignissen verbinden kann.  

Zu Beginn des Stücks stehen die Tänzerinnen links auf der Bühne. Beide tragen schwarze Kleidung, wodurch die Unterscheidung von Stoff und Haut/Leib betont wird. In den ersten Szenen bewegen die Tänzerinnen ihre Hände, die über den Köpfen ausgestreckt sind in kreisförmigen, wiederholenden Bewegungen, deren Geschwindigkeit variiert und eine geradezu meditative Wirkungen auslöst. Der Fokus auf die Materialität bzw. die Stofflichkeit bedingt die choreografischen Elemente, so dass sich der Tanz als Zelebrierung von Sensualität und Sinnlichkeit darbietet.

Nach einer Weile beginnen die Tänzerinnen Claudia und Josephine sich nun auch horizontal auf den Boden zuzubewegen. Dabei drehen, rollen und reiben sie ihre Körper, die bald entblößt sein werden. Hier wird die Nacktheit jedoch nicht mit Sexualität und erotischer Begierde assoziiert, im Vordergrund steht vielmehr ein phantasievolles Spiel mit befremdeten Darstellungsformen von Figuren, die sich verwandeln und deshalb jedwede Art sexuell-erotischer Identifikation unterlaufen. Dennoch sind es sinnliche Körper, die eine innere, spirituell aufgeladene Ausstrahlung offenbaren. 

Während die Tänzerinnen fast in allen Szenen ihren Tanz getrennt voneinander ausführen, gibt es eine Sequenz, in der die Körper fusionieren und sich überlagern. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen den Gliedern und Körperteilen und die Choreografie legt die Gestalt eines grotesken Wesens, das sich jeder festen Klassifizierung entzieht, offen. Aus dramaturgischer Perspektive markiert diese Szene den Höhepunkt der Choreografie sowie ihr transfiguratives Potential. Die verdrehte Anatomie, die sich an verzerrten Kippfiguren orientiert und mit Entstellungen operiert, kommt hier zum vollen Ausdruck. Es handelt sich, in anderen Worten, um fluide Verkörperungen, die ein dezentriertes Bild des (menschlichen) Subjekts darlegen.

Jene Lichtkörper, die mit dem Titel der Arbeit suggeriert werden, manifestieren sich in Inszenierung als Suche nach Tanzformen, die zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit changieren. Gleichzeitig ist „Solo for Claudia and Josephine/Bodies of Light“ eine Auseinandersetzung mit der Sinnlichkeit des Tanzes, die sich der Banalität des Spektakels entzieht und, anhand von Lehrläufen und Wiederholungen, ein neuartiges Raum-Zeit Erlebnis erfahrbar macht. Ungewöhnliche Imaginationsräume zeugen von der choreografischen Kraft, neue Formen der Subjekt- und Körperbildung in Gang zu setzen. Dennoch beschwören Isabell Schad und ihr Team kein metaphysisches Jenseits. Sie verlegen vielmehr den Blick in die Schwellenzone, wo sich Geist und Materie überlagern und verflechten. Somit schärfen sie unsere Wahrnehmung für die fluide Anatomie des inneren Wesens und seine Transfiguration durch die Choreografie. Wenn Claudia und Josephine im Ausklang langsam unter dem immer schwächer werdendem Licht verschwinden, sitzt man noch eine Weile und blickt hypnotisiert in die Dunkelheit.  

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