"Petruschka"

"Petruschka" von Ivan Alboresi

Mechanisches Händeklappern und virtuose Ballettkunst

Doppelabend „Playdead“ von Douglas Lee und „Petruschka“ von Ivan Alboresi am Theater Nordhausen

Absurde Anleihen an Bauhaus-Tänze mit Slapstick und dezent verspielte Jahrmarktsfolklore sind unterschwellig miteinander verzahnt.

Nordhausen, 28/02/2022
Wie mechanisch klappen die Hände in präzisem Rhythmus von rechts nach links, von links nach rechts. Dazwischen fällt plötzlich der Kopf dynamisch nach hinten. Da die Truppe in schwarzen Anzügen angetreten ist und hartes Licht von oben auf sie fällt, wirkt die Szene reichlich absurd. Doch mit der minimalistischen Klaviermusik von Simeon ten Holt bekommt die Bewegung einen spielerischen Touch. Das erinnert an Bauhaus-Tänze, manchmal sogar an Slapstick. Douglas Lee, der auch für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, hat mit „Playdead“ ein wunderbar musikalisches Tanzstück für die Nordhäuser Compagnie geschaffen.

Und es ist viel los auf der Bühne. Plötzlich haben die sechs Tänzerinnen und fünf Tänzer halbhohe schwarze Holzwände vor sich, hinter denen sie ihre Köpfe und Hände verschwinden und wieder auftauchen lassen. Die sie rasant über die Bühne fahren. Die bald Einzelne, bald Alle zu neuen Bewegungsmustern animieren. Durch die leichten Phasenverschiebungen der Patterns der Minimal Music entstehen so spannende Konstellationen und Bewegungsverschiebungen. Das TN-LOS!-Ballett (wie es sich selbst nennt) at its best.

So witzig und blitzschnell die virtuosen Aktionen der Gesamttruppe erfolgen, so intensiv schälen sich einige Solos und Duos heraus. Frank Henne hat elektronische Inseln geschaffen, die die Raserei aufbrechen. Und einmal greift Douglas Lee zu „Una melodia de Gluck“, einer Bearbeitung aus „Orpheus und Eurydike“ durch den italienischen Komponisten Ezio Bosso. Hautfarbene Trikots signalisieren das Individuum, das sich außerhalb des Kollektivs zeigt, ein Duo mit schwarzweiß gestreiften Trikots (Alfonso López González und Kino Luque) gibt sich extravagant und sorgt für den emotionalen Höhepunkt des knapp halbstündigen Stücks.

Douglas Lee, ein weltweit erfolgreicher Choreograf, der aus dem Stuttgarter Ballett hervorgegangen ist, hat sich tiefgreifende Gedanken gemacht, die man im Programmheft nachlesen kann, aber die Wirkung seines Tanzstücks auf das Publikum ist ganz unmittelbar und direkt – gerade die Abstraktion bei absoluter Virtuosität macht den hohen Reiz aus und führt zu Ovationen für Compagnie und Team. Tiefgreifende Gedanken hat sich auch Ballettchef Ivan Alboresi für seine Version von Strawinskys „Petruschka“ gemacht. Diese schönen Vorstellungen kann man ebenfalls im Programmheft nachlesen, ohne sie jedoch beim Betrachten seines Beitrages zu diesem Doppelabend zu benötigen.

Auch dieser „Petruschka“ wirkt rein aus sich heraus. Nun sind die Bewegungen geschmeidiger und nicht mehr so schneidig. Es beginnt mit einem Vorspann zum ersten Satz von Schostakowitschs Achtem Streichquartett. Zu dieser nebelhaften Meditation über die eigenen Anfänge erscheint mit nacktem Oberkörper Alfonso López Gonzáles und zeigt eindrucksvoll einen Menschen, der verquält mit sich selbst ringt. Unvermutet tauchen hinter ihm – wie seine Schatten – drei goldglänzende Figuren auf. Sie verwandeln sich später in Petruschka und ein in silberne Spiegelsplitter gekleidetes Tanzpaar wie aus einer Spieluhr. So wird der „Magier“, wie Alboresi Strawinskys Gaukler nennt, zur Hauptfigur dieses Balletts.

Ronald Winter hat eine Rückwand aus Kuben gestaltet, die zu Teilen beweglich sind und in die Handlung einbezogen werden, während die fesselnden Videos von Philip Contag-Lada sie immer wieder täuschend übermalen und auch sonst vielerlei Zauberei zwischen geometrischem Gestell und konstruiert Organischem bieten.

Strawinskys Musik in der Fassung von 1947 erklingt – wie schon die Musik zu „Playdead“ – vom Band und gibt den verbleibenden acht Tanzpaaren in pastellfarbenen Kostümen (Birte Wallbaum) Gelegenheit zu flüssiger, dezent verspielter Jahrmarktsfolklore. Diese Abwechslung zwischen harmloser Gruppe und Petruschka-Tragik gibt dem Stück die Fallhöhe. Das Folklore-Element inspirierte Alboresi zu teilweise grotesken, weit ausschwingenden Impulsen der Glieder. Zu dem intimen Flötensolo steht Gonzáles alleine im Bühnennebel, nun mit einem Glitzerjackett erkennbar als Magier. Ein roter Luftballon schwebt von oben herab. Der Magier sticht zu und bringt ihn zum Platzen. Noch zweimal wird ein solcher Knall das Publikum mit erschrecken, und beim letzten wird Petruschka tot sein.

Auf fahrbaren Podesten erscheinen die drei goldenen Figuren wieder. Vor sich tragen sie Puppen, die Petruschka, die Ballerina und den Manager verkörpern, wie Alboresi den „Mohren“ sinnvollerweise umtauft. Nachdem der Magier den Goldenen die Masken abgerissen hat, schlüpfen sie dann selbst in die Rollen: Otylia Cony und Thibaut Lucas Nury als Tanzpaar demonstrieren kühle Ballettkunst, Kino Luque gibt anrührend den mit der Ballerina liebäugelnden Petruschka. Es kommt, wie es kommen muss: Der Tänzer wird eifersüchtig und erschießt Petruschka. Auch diese Duos sind tänzerisch hoch motiviert und lässt die Solisten brillieren. Nach dem bitteren Ende sehen wir noch als Nachklang Gonzáles wie zu Beginn mit nacktem Oberkörper samt seinen drei Schatten sich langsam in den Hintergrund zurückziehen. Die fantastische Perfektion und Bewegungslust der Compagnie lassen die fünfzig Minuten wie im Flug vergehen.

Auch auf „Petruschka“ reagierte das Nordhäuser Publikum mit Jubel. So unterschiedlich die Tanzstile beider Stücke sind, so sehr sind sie unterirdisch durch Struktur und Thematik miteinander verbunden. Deren Ursache sollte man im Programmheft besser hinterher nachlesen.

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