„My body a stranger that protects me that kills me“ von Maura Morales

Neustart in Gießen

„My body a stranger that protects me that kills me“ von Maura Morales

Für Gießen hat Gastchoreografin Maura Morales mit vier Tänzerinnen in knapp vier Wochen ein atemraubendes Tanzstück erarbeitet, dessen Titel Programm ist.

Gießen, 23/10/2022

Das Stadttheater Gießen ist im Umbruch und mit ihm die Tanzsparte. Mit der Pensionierung von Intendantin Cathérine Miville hat nach 20 Jahren in Gießen auch Ballettdirektor Tarek Assam einen neuen Wirkungskreis gefunden, beim Nordharzer Städtebundtheater mit Zentrum in Halberstadt. Die neue Theaterleitung bilden Simone Sterr für das Schauspiel und Ann-Christine Mecke für die Musiksparte.

Die Tanzsparte bleibt erhalten, wenn auch in etwas reduzierter Form; die Leitung hat Constantin Hochkeppel, der zuvor von Köln aus arbeitete. Auch er wählte eine Kollegin für die gemeinsame Leitungsfunktion, die Theaterwissenschaftlerin Caroline Rohmer aus Frankfurt. Für beide ist das Physical Theatre ein zentrales Anliegen. Die Zusammenstellung des neuen Tanzensembles benötigte Zeit, es wird erst im November komplett sein.

Dennoch konnte die Eröffnung der Tanzsparte am Freitagabend stattfinden. Möglich machte dies die Gastchoreografin Maura Morales, eine aus Kuba stammende und seit 2000 in Deutschland lebende Tänzerin, gemeinsam mit ihrem langjährigen Arbeits- und Lebenspartner Michio Woirgardt, der die Musik komponierte. Die beiden sind seit 2010 in Düsseldorf zuhause, wo sie mit der von ihnen gegründeten Compania Maura Morales arbeiten.

Für Gießen hat Maura Morales mit vier Tänzerinnen in knapp vier Wochen ein atemraubendes Tanzstück erarbeitet, dessen Titel „My body a stranger that protects me that kills me“ Programm ist. Die Tänzerinnen kannten sich bis dahin nicht. Einzig die Engländerin Emma Jane Howley gehört schon seit 2019 zum Gießener Tanzensemble. Die ersten beiden neuen Mitglieder sind die Dänin Rose Marie Lindstrøm und die Polin Maja Mirek, als Gast tanzt die in Berlin lebende, aus Italien stammende Tänzerin und Choreografin Luana Rossetti mit, die auch Trainingsleiterin in Gießen ist.

Ausgangspunkt für „My body …“ ist die Unterscheidung zwischen „ein Körper sein“ und „einen Körper haben“, das eine ist biologisch mitgegeben, das andere durch Erziehung und Gesellschaft geprägt. Vor allem Frauen unterliegen massiven Vorgaben, was als schön und schicklich gilt, wie sie aussehen sollten und sich präsentieren dürfen und wie nicht, was derzeit wieder sehr deutlich zu erleben ist bei den Demonstrationen im Iran, wo Frauen sich öffentlich wehren gegen die Zurichtung ihres Körpers.

Für Maura Morales ist es auch das persönliche Erleben ihres Körpers, den sie durch ihren intensiven Tanz permanent herausfordert. Das wissen alle, die den Film über sie gesehen haben, „A Dancing Nomad“ von Simon Rauh. Das Gießener Publikum hatte zuvor die Chance in einem Kino bei Gießen. Maurales‘ Intensität des Performens verlangt sie auch den Tänzerinnen ab. Das Ergebnis sind 55 Minuten Hochspannung, immer wieder angetrieben durch den mal ruhig-unterlegenden, mal rhythmisch-harten und lauten Sound.

 Es startet im Halbdunkel einer minimalistisch in Schwarz- und Weißflächen gehaltenen Bühne von Morales u. Lukas Noll, das Licht besteht aus Leuchtschläuchen, die von der Decke hängen oder die fast nackten Körper dekorativ wie eine Skulptur umfließen. Die ersten Bewegungen der Tänzerinnen sind zögerlich und kriechend, als würde der jeweilige Körper in jeder Faser neu entdeckt. In der Begegnung miteinander werden sie zu spinnenartigen Wesen. Mit dem Anziehen weiterer Kleidungsstücke kommt der aufrechte Gang ins Spiel und unter den transparenten Oberteilen sind die abgeklebten Brüste deutlicher zu sehen als vorher, sie wirken wie verletzt und grob verbunden. Schmerzen und Angst schwingen mit.

Es gibt Szenen des Sich-Aufbäumens, der Selbst-Präsentation, Momente erotischer Verführung und der Selbstbefriedigung, des Einander-Berührens und -Helfens. Rollenbilder tauchen auf im ängstlichen Zurückweichen vor Schlägen und als Madonna mit Heiligenschein in Form eines runden Spiegels vorm Kopf. Zunehmend agieren sie gemeinsam und werden ein ausgesprochen kraftvolles Team. Das triumphierende Schlussbild zeugt vom neuen Selbstbewusstsein. Nicht endenwollender Applaus bei der Premiere.

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