„Wakatt“ von Serge Aimé Coulibaly

Wenn der Ausbruch ausbleibt

Serge Aimé Coulibaly mit „Wakatt“ in Dresden Hellerau

Der in Burkina Faso geborene Choreograf zeigt, wie tief Emotionen sitzen können.

Dresden, 09/07/2022

Wann ist Kunst „afrikanisch“? Der Choreograf Serge Aimé Coulibaly stammt aus Burkina Faso und lebt in Brüssel. Seiner Arbeit „Wakatt“, die 2020 im Rahmen der Ruhrtriennale ihre Uraufführung feierte und am Wochenende in Hellerau gezeigt wurde, liegt eine Erzählweise zugrunde, die im Sinn einer Dramaturgie mit vertrauten Erwartungen bricht. Das ist ganz klar Tanztheater, Bewegungstheater, augenscheinlich ist viel improvisiert. Es ist aber vor allem eine Erzählung, die sich nicht so ganz einfach mitteilen will. Da erscheint nichts rationalisiert; alles basiert auf reinen Emotionen.

Acht Tänzerinnen und Tänzer stehen zu Beginn verloren in einem fast leeren Raum, der Boden ist dick mit einer Masse bedeckt, die wie schwarze Asche wirkt. Aus ihr schält sich überraschend ein neunter Tänzer. Ein goldfarben glänzender Felsbrocken, gut vier Meter hoch, bildet einen optischen Anker. Hilflos stehen alle daneben, reglos, verloren. Dem Publikum sind sie abgewandt. Langsam, ganz langsam beginnen sie, sich um die eigene Achse zu drehen. Es dauert lange, bis sie ihre Gesichter dem Zuschauer zuwenden. Das ist stille Beredtheit, wie sie lauter kaum sein kann. Fast scheint ein Gefühl des Vorwurfs in der Luft zu hängen, Wut.

Kuratiert findet sich Coulibalys Gastspiel zwar im Rahmen des Festivals „Cool Down“ wieder, das sich dem Aspekt der Umwelt widmet, aber so ganz wörtlich muss man das nicht nehmen. Ein direkter Bezug lässt sich zumindest bis zum Schluss nicht ausmachen.

Unter entspannter Flötenmusik lauert eine Unsicherheit, eine Art Orientierungslosigkeit, die aber gerade nicht mit Schwäche einhergeht. Vielmehr ist da Aggression, die sich auch gegen den Nächsten richtet. Unklar aber bleiben alle Ursachen. Es scheint ein Urgefühl, eine grundsätzliche Sache zu sein. Hier ist ganz klar alles menschlich. Es gibt den Tod, und es gibt die Geburt. Alles scheint immer mehr zu zerfasern in einer Erzählung, die sich genau wegen eines immens hohen inneren Drucks nicht mitteilen kann. Das zeigt sich in einer ausufernden Körperlichkeit, die völlig frei von artifiziellen Ansätzen ist. In den Bewegungen selbst liegt der Zweck, in ihrer Intensität, nicht in ihrer Art.

Die bunten Kostüme, die die Tänzer direkt wie von der Straße kommend wirken lassen, werden im Lauf des Abends weniger, ohne dass sich sagen lässt, wohin sie verschwinden. Dieses langsame Bloßlegen geht einher mit einer sich steigernden Intensität, die lauter und chaotischer wird, aber eigentlich bis zum Schluss, trotz aller Sichtbarkeit, nicht nach außen dringt. Ein wenig plakativ fällt dabei Coulibalys Rückgriff auf eine Weste mit Sprengstoff aus, die hässliche Assoziationen zu Selbstmordattentätern evoziert. Gebraucht hätte es das nicht, zumal dieses Bild reiner Hinweis bleibt und nichts daraus folgt. Auch so ist ganz offenbar, dass Coulibaly hier keine Menschen choreografiert, sondern Emotionen. Er lässt sein Ensemble innerlich Getriebene sein, die nicht wissen, wohin mit all dem Aufgestauten. Selbst wenn sich der Felsbrocken auf der Bühne als spiritueller Magnet entpuppt, stößt dieser seine Jünger gleichzeitig ab. Dieser Druck, er erfährt kein Ventil. Das zu ertragen ist schwer, will man doch schließlich am Ende eine Lösung, eine Erlösung.

 

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