„Carmen” von Beate Vollak, Tanz: Christoph Schaller (Dancaire), Anna Brull (Eine Stimme), Ensemble

Leicht unterkühlt

„Carmen” von Beate Vollack als choreografische Uraufführung an der Grazer Oper

Die Chefin des Balletts der Oper Graz liefert mit ihrer Interpretation des Carmen-Stoffes eine solide wenn auch etwas leidenschaftslose Arbeit ab.

Graz, 14/02/2023

Die Geschichte der freiheitsliebenden Carmen ist hinreichend bekannt, ebenso die eingängigen Melodien George Bizets. Doch Beate Vollack hat sich entschieden, eine eigene Version des Stoffes zu erzählen. Im Prolog erinnert sich Don José (Paulio Sóvári) an seine Ermordung Carmens und letztendlich daran, wie es dazu gekommen ist. Gezeigt wird die Geschichte dann als Theater auf dem Theater: Jon Morell, der auch die sehr plakativen Kostüme verantwortet, hat den Zuschauerraum gespiegelt, wobei die Ränge, die immer wieder bespielt werden, halbverfallen sind. Er schafft damit eine Arena als Einheitsbühnenbild, in dem sich das Geschehen abspielt. Nur vage sind dann die einzelnen Handlungsorte zu erkennen. Obwohl es auch einen jungen José (Fabio Agnello) als Alter Ego gibt, greift der alte José immer wieder in die Handlung ein, und letztendlich ist er es auch, der Carmen tötet. Warum dem so ist, erschließt sich nicht wirklich. 
José betreibt mit Micaela eine Stierzucht. Escamillo erwirbt ebendort Josés Lieblingsstier, woraufhin José in die Stadt und zum Militär geht, wo er auf Carmen trifft. Dieser Stier begleitet Escamillo durch das ganze Stück hindurch, manches Mal wird er auch mit Carmen auf eine Ebene oder als Konterpart gesetzt. Spannend, dass diese Rolle einer Tänzerin – fein getanzt von Kirsty Clarke – zugeeignet wurde und durch die Verwendung von Spitzenschuh, femininem schwarzem Kostüm und sanfter Bewegungssprache weiblich gelesen wird. Schade aber, dass mit dieser durchaus spannenden Idee - der Stier ist ja eigentlich männlich - nicht wirklich weitergearbeitet wurde. Als der Stier getötet wird, begleitet José ihn im Todesmoment. Erst dann richtet sich sein Hass gegen Carmen, die den Triumph Escamillos feiert.
Vollack hat sich gemeinsam mit der Dirigentin Clarie Levacher entschieden, nur Teile der bekannten Musik zu verwenden und diese mit anderen Kompositionen Bizets sowie Kompositionen von Manuel de Falla und Emmanuel Chabrier zu ergänzen. Der entstandene Musikmix unterstützt das Geschehen auf der Bühne nicht immer. Bei den Nummern aus de Fallas „Siete canciones populares españolas“, tadellos interpretiert von Anna Brull, wären Übertitel hilfreich gewesen. Auch fehlt den Grazer Philharmonikern manches Mal der zündende Funken im Orchestergraben. Das überträgt sich auf das Geschehen auf der Bühne und auf das Ensemble, dem es etwas an Leidenschaft und Spiellust mangelt. Aber vielleicht gibt sich das bei den folgenden Vorstellungen, wenn die Tänzer*innen nicht mehr so mit Choreografie und Form beschäftigt sind. 
Vollack schöpft ihr choreografisches Vokabular vor allem aus dem (neo-)klassischen Bereich: mit ein Grund, warum der Abend zwar solide aber doch etwas altbacken wirkt. Das gut geschulte Ensemble ist an diesem Abend in vielen unterschiedlichen Rollen zu sehen, in manch ausufernden Ensembleszenen kommt jede*r kurz einmal solistisch zur Geltung. Lucie Horná ist als Carmen fast im Dauereinsatz, technisch ausgezeichnet mit feinen Linien wirkt ihre Rolleninterpretation allerdings etwas zu kühl. Man kann nicht so ganz verstehen, warum sie Don José den Kopf verdreht. Da hilft es auch nicht, dass all ihre Kostüme in verführerischem Rot gehalten sind. Leider gelingt das Wagnis, „Carmen“ mit einem kleinen Ensemble – unterstützt werden die 17 Tänzer*innen in der Schmuggler*innen-Szene von Schülerinnen der hauseigenen Ballettschule – als abendfüllendes Handlungsballett herauszubringen nur bedingt.

 

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