„Hammer“ von Martin Chaix. Tanz: Ensemble

„Hammer“ von Martin Chaix. Tanz: Ensemble

Apollinische Klarheit und expressive Dynamik

„Energetic Emotions“ am Oldenburgischen Staatstheater

Von der Enge in die Weite und von abstrakter Strenge bis hin zu menschlichen Emotionen: sehr kontrastreich präsentiert sich der neue Ballettabend der Ballett Compagnie Oldenburg im Großen Haus des Staatstheaters.

Oldenburg, 31/01/2023

Mit der Holländerin Regina van Berkel, ehemalige Tänzerin bei William Forsythe in Frankfurt, und den beiden Franzosen Martin Chaix und Antoine Jully - ehemals Studienkollegen an der Ballettschule der Pariser Oper und später Kollegen beim Ballett am Rhein von Martin Schläpfer - werden drei künstlerische Handschriften gezeigt, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Während sich Martin Chaix der neoklassischen apollinischen Klarheit in der Form verschreibt, beschäftigt sich Regina van Berkel in ihrem Stück „Expressive Slide“ mit psychischen und physischen Abgründen, die sich sowohl im Zwischenmenschlichen ergeben, als auch den Menschen aus seinem Kontinuum reißen können wie z.B. eine überwältigende Naturerfahrung. Diese Thematik liegt der hochenergetischen Musik „The Dharma at Big Sur“ von John Adams zugrunde, der die Erfahrung an dieser beeindruckenden Steilküste Nordamerikas musikalisch umsetzt. Van Berkel präsentiert zunächst menschliche Beziehungen einer kleinen Gruppe in beengtem Raum: ein Miteinander an einem imaginären Küchentisch verwandelt sich unvermittelt in ein klaustrophobisches Chaos, aus dem es nur einen Ausweg zu geben scheint, indem die Szene sich - wie in einem schlechten Traum - einfach auflöst. Was sich zunächst sehr interessant szenisch mit Bewegungen aufbaut, endet in einem heillosen Geschrei, das die Zuschauenden nicht wirklich nachvollziehen können. Da hätte man sich eine eher tänzerische Lösung gewünscht.

Der Raum öffnet sich und die metallisch glänzenden Bühnenteile formieren sich im Hintergrund zu einer stilisierten Steilküste. Die Menschen verwandeln sich in pure Energie und tanzen den ewigen Tanz des Wassers, das sich an den Felswänden bricht und ihnen immer wieder entgegen wogt. Hier entstehen Bilder von großer Dichte und poetischer Kraft, die von der eindrücklichen Musik John Adams getragen werden. Die Tänzer*innen tanzen auf Strümpfen, was ihrem Tanz eine große Geschmeidigkeit verleiht und doch vermögen sie - technisch versiert wie sie sind - damit virtuose Drehungen zu vollbringen. Die ganz persönliche Tanzsprache van Berkels beeindruckt und die ewige Bewegung kann nur vom Vorhang beendet werden, der langsam herunterfährt. Ein stürmischer Applaus brandet den Tänzer*innen entgegen!

Im zweiten Teil dann die Choreografie „Hammer“ von Martin Chaix zur Musik von Galina Ustvolskaya und dem in Deutschland im Exil lebenden Ukrainer Valentin Silvestrov. Hier sind Russland und die Ukraine in einem Ballett musikalisch vereint, doch die schöne Idee erweist sich künstlerisch als nicht tragfähig.

Martin Chaix hat als ehemaliger Solist an der Pariser Oper ein sehr gutes Gespür für die Neoklassik im Tanz: apollinisch klare Linien, weiße Kostüme - die sich allerdings beim Tanzen als etwas hinderlich erweisen - und eine strenge Raumaufteilung der fünf tanzenden Paare kennzeichnen seine Choreografie. Elegante Gruppenformationen und feine Duette prägen den einen, nach Nietzsche benannten Pol des Apollinischen. Gerade am Schluss, im „Grave“ von Ustvolskayas Konzert für Klavier, Streicher und Pauke gelingt ihm in kleinen, geschickt variierten verschachtelten Bewegungen eine kongeniale abstrakte Übersetzung der Musik. Das anschließende Frauensolo zu Silvestrovs filigranem Klavierstück „Der Bote“ wirkt zu schwach, als dass es den dionysischen Pol adäquat darstellen könnte. Etwas mehr archaische Energie, fallen, Abgründigkeit und Bodennähe - wie es die modernen Tanzsprachen verwenden - hätte der Choreografie gutgetan. Eine Auseinandersetzung mit dem Werk Doris Humphreys wäre hier hilfreich gewesen, die aus der Polarität zwischen dem Apollinischen und Dionysischen eine Tanztechnik entwickelt und diese Prinzipien in all ihren Choreografien angewandt hat.

Bei den abschließenden „Five Tango Sensations" Astor Piazzollas - von ihm selbst in einer letzten Studioaufnahme zusammen mit dem Kronos Quartett im Jahr 1989 eingespielt - scheinen sich das Apollinische und Dionysische bestens zu vereinen. Antoine Jully folgt in seiner Choreografie dem Gefühl dieser Musik, sodass ein warmer, atmosphärisch dichter Tanz entsteht, der sich Szene um Szene in einer Ideenvielfalt entspinnt, dass es eine Freude ist. Doch würde man sich wünschen, dass die eine oder andere Szene etwas länger dauert, die dargestellten Emotionen deutlicher nachvollziehbar werden.

Jully hört in Piazzollas Musik nicht unbedingt Melancholie, sondern eher Sehnsucht, eine Sehnsucht, die ihn auch als Choreograf vorantreibt, sich weiter zu entwickeln und die gängigen Formen des Tangos zu überwinden, sie in eine zeitgemäßere Form zu gießen. Der traditionellen Rollenverteilung setzt er eine Gleichberechtigung beider Partner im Tanz entgegen, dem traditionellen Rot-Schwarz begegnet er mit einer überwiegend blauen und erdigen Farbgebung. In einer interessanten Lichtregie öffnet und schließt er Räume, die durchweg mit dynamischem Tanz in schnellem Wechsel gefüllt werden. Seine Vorliebe für das „Partnering“ findet in komplexen Hebefiguren ihren Ausdruck, die sich ganz spielerisch in den ideenreichen Bewegungsfluss einfügen. Eine reife Choreografie, die viel zu schnell zu Ende geht!

Dankbarer Applaus beendet diesen vielseitigen Abend.
 

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