Buchcover „Oskar Schlemmer und der Tanz“ von Frank-Manuel Peter. Wienand Verlag

Buchcover „Oskar Schlemmer und der Tanz“ von Frank-Manuel Peter. Wienand Verlag

Nicht für die Ewigkeit

Neuerscheinung „Oskar Schlemmer und der Tanz“ von Frank-Manuel Peter

Frank-Manuel Peter kontextualisiert ausgehend von „Das Triadische Ballett“ (1922) mitsamt seinen weltberühmten Kostümen die Tanz- und Zeitgeschichte der 1920er/1930er Jahre. Sie strahlt bis ins Heute.

Köln, 23/11/2023

„Künstler und Kunstwerke, die faszinieren können und stets zu neuer Auseinandersetzung anregen, bleiben auch für spätere Generationen ‚lebendig‘“, konstatiert Frank-Manuel Peter im Nachwort seines monumentalen Opus „Oskar Schlemmer und der Tanz“. Mit diesem 640-seitigen Schwergewicht setzt der Autor dem ehemaligen Bauhaus-Meister nicht nur ein würdigendes Denkmal, sondern räumt vor allem mit Irrtümern und Legenden auf, die sich um Schlemmers Triadisches Ballett von 1922 ranken. Hierfür öffnet Peter die Schatztruhe der Bestände des Deutschen Tanzarchivs Köln – dessen Leiter er ist –, und beweist anhand einer schier überwältigenden Flut an bislang unbekannten und unveröffentlichten Dokumenten wie Briefwechseln, Kritiken oder über 300 Fotografien einmal mehr, dass Schlemmers Signaturwerk weder am Bauhaus entstanden ist, noch dass Schlemmer als eigentlicher Urheber bzw. Initiator dieser Bühnenschöpfung gelten dürfte. 

Rehabilitierung bisher unbekannter Mitstreiter*innen

Die beiden künstlerischen Mitstreiter*innen Albert Burger und Elsa Hötzel erfahren bei Peter ebenso eine Rehabilitierung wie die nahezu unbekannte Tänzerin Manda von Kreibig, auf deren tänzerische Expertise die oftmals ebenso Schlemmer zugeschriebenen Bauhaustänze zurückgingen. Weiterhin zeigt Peter mögliche Inspirationsquellen für die weltberühmten Kostüme des „Triadischen Balletts“ auf, portraitiert bislang nahezu unbeachtete Persönlichkeiten, die an den Folge-Vorstellungen des Schlüsselwerks mitgewirkt haben und skizziert einmal mehr den ‚Eiertanz‘ mit den Schlemmer-Erben, die bis ins Jahr 2014 sowohl der Rezeption als auch Wiederbelebung durch Neueinstudierung des Signaturstücks entgegengewirkt haben.

Darüber hinaus spannt Peter einen spannenden Bogen von diesem nun 101-jährigen Kunstwerk mitsamt seinen weltberühmten Kostümen zu diesem immanent bewegten Stück Tanz- und Zeitgeschichte der 1920er/1930er Jahre und betreibt mit seinem Detailblick im bestem Sinne Tanz- und Kulturgeschichte. In flüssig klarer Sprache stellt er die Verbindungen Oskar Schlemmers zu berühmten anderen Persönlichkeiten des modernen Tanzes her, wie beispielsweise Kurt Jooss, gegen den der Bauhaus-Meister 1933 beim Choreografischen Wettbewerb in Paris angetreten war und verloren hatte, und kontextualisiert diesen Ausschnitt tanz- und kunstgeschichtlicher Perspektive im Angesicht der historischen Tänzerkongresse in Magdeburg und Essen. 

Einen großen Schatz stellt der umfangreiche Anhang der kolossalen Monografie dar, in dem sich erstmals alle 32 von Schlemmer selbstveröffentliche Schriften zu Tanz- und Bühnenkunst gemeinsam abgedruckt finden. Insgesamt legt Peter mit dem beim Wienand Verlag erschienen Opus ein wahres Zeugnis bewegten Tanz- und Zeitgeschehens der frühen Moderne ab, womit es künftig in keinem gutsortierten Bücherregal von Liebhabern wie auch Fachleuten der Tanz- und Kunstgeschichte fehlen sollte. 

Zurück zur Quelle

Vor allem aber lockt „Oskar Schlemmer und der Tanz“ nicht zuletzt dazu, dem Deutschen Tanzarchiv in Köln selbst einmal wieder einen Besuch abzustatten, wo die im Buch abgebildeten Schätze bestaunt werden können – etwa die über ein halbes Jahrhundert verloren geglaubte Autografen-Sammlung einer Bittschrift an das Tänzer-Ehepaar Hötzel und Burger, die noch in dem im Frühsommer veröffentlichten Band als verschollenes Dokument von Peter beklagt worden und nur wenig später auf dem Kunstmarkt aufgetaucht und dem Deutschen Tanzarchiv Köln übergeben worden war. Womit sich einmal mehr beweisen lässt: Aktualität ist immer nur Momentaufnahme, Geschichte lebt und gilt es immer wieder neu zuschreiben und aufzudecken. 

Frank-Manuel Peter ist dies mit seinem kolossalen Schriftstück, einem wahren Konvolut an Fachwissen wie auch seiner jahrzehntelangen Detektivarbeit beispielhaft gelungen, allerdings vom Autor eben nicht geschrieben, als ein alle Wahrheiten beleuchtendes Opus, sondern als ein lebendiges Schriftwerk als Dokumentensammlung und aktueller Bestandaufnahme, die zu weiterer Betrachtung, Recherche und Forschung anregt. Persönlich für den Archivar Peter gesprochen ist dies Buch somit vor allem ein Plädoyer für ein ‚Zurück zur Quelle‘ an die Forscher*innen der Gegenwart und Zukunft, sich nicht mit einem reinen Wiederlesens von bereits vermeintlich Verstandenem zufrieden zu geben, sondern sich immer wieder selbst auf die Suche zu begeben, zu hinterfragen und Geschichte/n somit lebendig zu halten.

 

Oskar Schlemmer und der Tanz
Wienand Verlag 
Hrsg. von Deutsches Tanzarchiv Köln
In deutscher Sprache
Erscheinungsdatum: 15.06.2023
58,00 Euro 
Oskar Schlemmer und der Tanz 

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