„Nussknacker und Mausekönig“ von Guido Markowitz, Tanz: Chelsea DesLauriers, Dominic McAinsh und Ensemble

Erzählte Emotionen

Guido Markowitz choreografiert „Nussknacker und Mäusekönig“ in Pforzheim

Die Uraufführung eines „weihnachtlichen Märchens nach Motiven von E.T.A. Hoffmann“.

Pforzheim, 03/12/2023

von Dieter Schnabel

Im Dezember 1892 wurde im Mariinski Theater in St. Petersburg „Der Nussknacker“ uraufgeführt. Das Libretto stammte von Marius Petipa und Iwan Wsewoloschski, die sich auf Alexandre Dumas pères „Histoire d’un casse-noisette“ beriefen, der sich seinerseits bei E. T. A. Hoffmann bediente. Die Musik schrieb Pjotr I. Tschaikowski. Die Choreografie stammte von Petipas Stellvertreter Lew Iwanow. Dabei ging es schon damals nicht in erster Linie um eine möglichst originalgetreue Übertragung der literarischen Vorlage, sondern darum, „die dramaturgischen Prinzipien des russischen Balletts am Ende des 19. Jahrhunderts zu beachten“.

Im Theater Pforzheim fand jetzt die Uraufführung eines „weihnachtlichen Märchens nach Motiven von E.T.A. Hoffmann“ statt, ein „zeitgenössisches Tanzstück von Guido Markowitz“: „Nussknacker und Mäusekönig“. Damit ist schon gesagt, dass sich der Pforzheimer Ballettdirektor, wie schon viele andere vor ihm, von der Petipa-Vorlage löst und auf das „Phantastische Märchen“ von E.T.A. Hoffmann zurückgreift, das zum ersten Mal 1816 veröffentlicht und drei Jahre später in den ersten Band der „Serapions-Brüder“ aufgenommen wurde.

Höfischer Saal mit Kronleuchtern

Dabei hält sich Guido Markowitz nicht streng an diese literarische Vorlage. So fällt bei ihm die ganze „Vorgeschichte“ der Weihnachtsbescherung im Haus des Medizinalrats Stahlbaum dem Rotstift zum Opfer – und das nicht zum Nachteil des Ganzen. Vielmehr kommt man bei hier gleich zur Sache. Dabei kann man allerdings die Frage stellen, ob es gerade „zeitgenössisch“ ist, dass die Geschichte in einem höfischen Saal mit drei Kronleuchtern beginnt. Doch die Bühnen- und Kostümbildnerin Esther Bätschmann sorgt mit dieser Kulisse zumindest für eine märchenhafte Atmosphäre – und das ist schließlich auch etwas. Dass sie aber auch ganz anders kann, zeigt sie, als es zu illustrieren gilt: „Clara findet sich plötzlich in einer fremden Straße wieder“ oder „im unwirtlichen Winterreich der Mäuse sucht der weiße Hase erfolglos nach Clara“,  wenn sie mit Projektionen arbeitet. Zu Beginn sieht man eine Riesennuss, bildnishaft dafür, was es zu knacken gilt – und perspektivisch genau getroffene, bemalte Kulissen. Ihre pracht- und kunstvollen Kostümierungen tragen zur optischen Abrundung des Erfolgs dieser Uraufführung bei.

Einige Gestalten wie der weiße Hase werden neu eingefügt

Doch was wäre das alles ohne den Einfallsreichtum des künstlerischen Leiters und Choreografen sowie der stupenden Ausdruckskraft und Technik des gesamten Ensembles? Guido Markowitz hat, zusammen mit dem Dramaturgen Thomaspeter Goergen, die Originalgeschichte herangezogen, um das Libretto spannender und dynamischer zu gestalten. Dem Ballettdirektor „geht es darum, Emotionen zu erzählen. Es soll eine Geschichte sein, in die sich jeder einfinden kann“. Er hat einen weißen Hasen als Claras ständigen Begleiter hinzugedichtet und einen Gegenspieler für Drosselmeyer gefunden, nämlich die Königinmutter der Mäuse, die ihn und den Nussknacker immer wieder herausfordert.

Dazu bemerkt Guido Markowitz: „Ich wollte diese ‚Gut-gegen-Böse‘-Situationen, um mehr Spannung und Handlung zeigen zu können“. Das ist ihm hervorragend gelungen, ist doch die Original-Choreografie wohl pompös, vor allem hinsichtlich der Divertissements, aber weniger dramatisch. So kämpfen in Pforzheim etwa die Königin der Mäuse mit dem Prinzen und der Nussknacker mit dem Mäusekönig um Clara, was Spannung ins Spiel bringt. Dazu kommen Märchengestalten. Dabei kommt bei aller Vorherrschaft des sogenannten zeitgenössischen Tanzes auch Klassisches nicht zu kurz, wie etwa bei dem Pas de deux des Prinzen mit Clara gegen Schluss und bei Claras Solo danach.

Zu loben sind vor allem die Tänzer*innen der Hauptrollen, die expressiv agieren und die Entwicklungen ihrer Figuren mit herausragenden tänzerischen Mitteln zeigen. Das gilt für alle, ob es nun Chelsea Deslauriers als Clara oder Dominic McAinsh ist, der sich überzeugend vom Prinzen in den Nussknacker und wieder zurück verwandelt. Als Mäusekönig und seine Mutter brillieren Mattis Serio und Emilia Johanna Fridholm.

Gekonnt tanzen Ido Stirin den weiße Hasen und Sara Scarella den in diesem Fall weiblichen Drosselmeyer. Die Musik von Tschaikowski interpretiert die Badische Philharmonie Pforzheim unter der nuancenreichen Leitung von Michael Pichler kongenial. Verdienter frenetischer Beifall.

 

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