“We will be removed” von Johannes Wieland, Probenfotos

Zurück in Berlin

Ein Interview mit Johannes Wieland zum Arbeiten in der freien Szene und am Stadttheater, zu Berlin und Kassel und Projekten weltweit

In der aktuellen Produktion “We will be removed” arbeitet Wieland an der vielschichtigen Verortung von Ausgrenzung und Diskriminierung, des Ankommens und des Weggehens.

Berlin, 25/02/2023

Johannes Wieland ist ein international tätiger deutscher Tänzer, Choreograf und Tanzpädagoge. Er absolvierte seinen BFA an der Universität der Künste in Amsterdam und arbeitete viele Jahre in verschiedenen Kompanien mit zahlreichen Choreografen. Nach seinem Engagement beim Béjart Ballet Lausanne, zog er nach New York, wo er seinen MFA in zeitgenössischem Tanz und Choreografie an der NYU/Tisch School of the Arts erhielt. Dort gründete er die Kompanie johannes wieland und baute gleichzeitig 15 Jahre lang als Hauschoreograf, künstlerischer Leiter und Direktor die zeitgenössische Tanzkompanie am Staatstheater Kassel auf. Derzeit lebt er wieder in Berlin und arbeitet hier in der freien Szene.

 

Gerade arbeiten Sie an Ihrer neuen Produktion “we will be removed”. Dafür sind Sie von Kassel in die Hauptstadt Berlin gekommen und arbeiten nun nach 15 Jahren Tanzdirektion am Staatstheater Kassel wieder in der freien Szene. Was hat sich für Sie verändert?

Ich bin ja in Berlin geboren und habe hier auch viel Zeit während meiner Kindheit und Jugend verbracht. Allerdings habe ich mich weit über die Hälfte meines Lebens in anderen Städten aufgehalten.

Berlin hat mich aber sehr geprägt und ich trage natürlich viele Erinnerungen in mir. Jetzt wohne ich wieder in Berlin und finde es schön, hier zu sein. Vor meiner Zeit in Kassel habe ich ja auch schon ausschließlich freiberuflich gearbeitet, deshalb ist das jetzt nicht wirklich neu für mich. Ich habe 15 Jahre in New York gelebt und habe ja außerdem immer viele Projekte neben meiner Funktion am Theater initiiert oder habe Auftragsarbeiten choreografiert. Davon mal abgesehen, habe ich mich natürlich verändert - und dann auch wieder nicht.

Ich nehme mir mehr Zeit - besonders für Leute, die mir wichtig sind. Am Theater hatte ich ja, neben den Stücken, die wir entworfen hatten, auch noch sehr viele andere Verantwortlichkeiten. Als Direktor und künstlerischer Leiter. Da habe ich natürlich Erfahrungen gemacht, die mir über die Jahre auch gezeigt haben, was eigentlich wirklich wichtig für mich ist und das Choreografieren an sich in den Mittelpunkt gerückt.

Eigentlich hat mich die Position nie interessiert und außerdem bin ich kein Freund von ewigen Meetings. Mein Fokus liegt auf der Entwicklung der Stücke, die die Performer*innen und ich erarbeiten. Ich empfinde es als befreiend jetzt mal wieder ausschließlich ohne eine große, starre Struktur zu arbeiten.

 

Was nehmen Sie aus der Zeit am Staatstheater Kassel mit?

Ich denke, dass eine Struktur einerseits helfen und andererseits behindern kann. Ich habe versucht immer das erstere zu sehen, um den Tänzer*innen, dem Team und den Stücken einen interessanten Prozess in einem angenehmen Arbeitsumfeld zu ermöglichen. Aber es gibt Abläufe am Theater, die ich als problematisch für die Weiterentwicklung von Kunst empfinde. Abgesehen davon hatte ich eine wirklich tolle Zeit in Kassel: wir haben den zeitgenössischen Tanz und die Tanzsparte mit vielen Gastchoreografen und sehr starken Performer*innen einem interessierten Publikum näher gebracht - und das mit unglaublich positiver Resonanz. Das war schon sehr bereichernd.

 

Welche Chancen und neuen Möglichkeiten ergeben sich in der freien Szene für die Stückentwicklung von “We will be removed”?

Ich habe mich nie in meine künstlerischen Entscheidungen von anderen abhängig gemacht und habe dafür immer sehr gekämpft. Mich interessiert der Prozess und die Umsetzung. Alles was dafür nötig ist, versuche ich zu realisieren. Es gibt immer einen Weg, man muss ihn nur finden. Die Abläufe sind jetzt einfacher zu organisieren und Entscheidungen können schneller getroffen werden. Es existieren immer Abhängigkeiten - am Theater oder als freischaffender Künstler - aber trotzdem ist es vom Gefühl immer das gleiche: du entwirfst ein Stück mit interessanten Menschen - und das steht im Vordergrund.

 

…und welche neuen Herausforderungen stellen sich nun für Sie und Ihre Arbeit?

Die Herausforderungen werden eher geringer. Ich kann mich noch stärker darauf konzentrieren Stücke zu entwerfen, die genreübergreifend funktionieren. Ich glaube nicht an die Kategorisierung von Kunst. Die Organisation wird vielleicht dadurch vereinfacht, aber sie gibt nicht wirklich Raum für eine freie Entwicklung.

 

Wie gestaltet sich hier die Zusammenarbeit mit dem Team?

Wir alle kennen uns ja schon sehr lange. Ein tolle Produktionsleitung ist neu dazugekommen. Eigentlich läuft es ziemlich gut!

 

Ihre neue Produktion “We will be removed” ist eine Art Antwort auf Ihre dystopische Choreografie “You will be removed”, die 2016 am Staatstheater Kassel Premiere feierte. Damals haben Sie sich mit dem Thema Flucht in seinen verschiedenen Facetten und Folgen auseinandergesetzt. Worum geht es nun in Ihrem neuen Stück?

Es geht um die vielschichtige Verortung von Ausgrenzung und Diskriminierung, des Ankommens und des Weggehens. Das rastlose Suchen nach dem Gefühl einer Zugehörigkeit. Eine Zugehörigkeit zu Menschen und Orten. Was gibt uns ein Sicherheitsgefühl? Was bleibt auf der Strecke? Alles hängt zusammen: Tempo, Terror und Transit.

 

2016 tanzten sich Ihre Tänzer*innen noch durch das imposante Bühnenbild von Momme Röhrbein - ein trockenes, geisterhaftes Schwimmbecken. “We will be removed”, der zweite Teil einer möglichen Trilogie, verlässt nun bewusst den etablierten Theaterraum und wird auf dem Ernst-Reuter-Platz in Berlin stattfinden. Was interessiert Sie an diesem Ort?

Der Ernst-Reuter-Platz ist ein Ort, der als Grundidee eine Verbindung schaffen und Menschen zusammenführen wollte. Ein zentraler Ort der Begegnung. Heute wirkt er eher wie eine vergessene Insel im Verkehrsstrom - irgendwie gut gemeint, aber nicht angekommen.  Der Ort ist ein Versprechen, das noch eingelöst werden muss. Diese Diskrepanz ist natürlich eine spannende Projektionsfläche für die Themen, die wir verhandeln. Das Stück ist aber nicht an einen Ort gebunden. Wir führen es ja auch in einer Turnhalle in Kassel auf. Ein Ort, der durch seine auf Wettbewerb ausgelegte Implikation eine interessante Reibungsfläche für unser Anliegen bietet.

 

Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihre Tänzer*innen nun aus?

Ich finde Menschen interessant - und bei manchen Menschen denke ich, sie erzählen schon Geschichten, die mit dem Thema zu tun haben, ohne dass ich etwas machen muss. Man muss sie nur ansehen. Dann gibt es Menschen, die mich mit ihrem Talent überwältigen. Und dann gibt es Menschen, mit denen ich mich auf die eine oder andere Art gedanklich sehr verbunden fühle. Irgendwie muss alles in einer interessanten Mischung vorhanden sein.

 

Möchten Sie auch für zukünftige Projekte in Berlin bleiben?

Ja bestimmt - im Moment ist Berlin ein inspirierender Ort für mich. Ich kenne mich aber ganz gut - ich bin nicht für einen Ort gemacht. Ich muss immer auch unterwegs sein können.

 

Ein kurzer Ausblick auf Ihre nächsten Projekte?

Also gerade komme ich ja von einem sehr großen Projekt, das die Tanzkompanie und ich am Landestheater in Linz realisiert haben, und im April 2023 gibt es das Projekt “we will be removed” auf dem Ernst-Reuter-Platz in Berlin. Gleichzeitig arbeite ich gerade an einer neuen Auftragsarbeit in New York. Die Premiere wird auch im April sein. Zusammen mit Evangelos Poulinas organisiere ich auch die b12 Festivals im Frühling, Sommer und Herbst hier in Berlin - eine sehr arbeitsintensive Aufgabe!  Im August gebe ich eine Workshop in Stockholm und würde mich danach gerne mit weiterführenden Gedanken über den letzten Teil der "removed" -Trilogie beschäftigen.

Kommentare

Noch keine Beiträge