Dämmerung der Zeit

„Zeitgrenzraummaschine“ von Yoshie Shibahara in der Tanzfaktur Köln

Yoshie Shibahara, Teil der freien Tanz- und Kunstszene in NRW, schafft es durch eine Licht- und Soundinstallation, an die Grenzen von Raum und Zeit zu führen.

Köln, 27/04/2024

von Svenja Hoffeller

Es ist dunkel. Ein kleines gelbes Licht wandert unter weißen aufgehängten Stoffen über den Boden, als ob es etwas sucht. Der Saal im Untergeschoss der Kölner Tanzfaktur ist zum Bühnenraum geworden: Die Zuschauer*innen sitzen auf Kissen auf dem Boden. An einer der vorderen Säulen in der Mitte des Raums ist eine Frau mit DJ-Mischern und Synthesizern platziert, die nur dezent beleuchtet sind. Das wandernde Licht kommt dem Publikum näher. Es wird erkennbar, dass es mit einem Stab gelenkt wird. Die Frau, die sich mit dem Stab behutsam durch den Raum bewegt, ist die Performerin Yoshie Shibahara. Sie führt das Licht aufwärts an einer Säule entlang, sodass die Struktur der Säule sichtbar wird. Das langsame Bewegen des Lichts in der Dunkelheit lässt eine dichte Stimmung entstehen, einen Sog, der in den Moment hineinzieht. So müssen sich Archäolog*innen fühlen, die in einer Höhle alte Hieroglyphen oder Wandmalereien aus einer anderen Zeit entdecken und diese zu entschlüsseln versuchen. Sitzen auch wir hier an der Grenze von Raum und Zeit zu einem „Damals“?

Ihre neue Licht- und Soundinstallation „Zeitgrenzraummaschine“ hat die japanische Choreographin Yoshie Shibahara gemeinsam mit der Dramaturgin Valerie Wehrens, der künstlerischen Mitarbeiterin Shoko Matsuyama, dem Licht- und Sounddesigner David N. Koch und der Klang- und Medienkünstlerin Echo Ho geschaffen. Shibahara gehört schon seit zwei Jahrzehnten zur etablierten freien Tanzszene in Köln und NRW. Seit mehreren Jahren arbeitet sie bevorzugt interdisziplinär und in Formaten optischer und raumbezogener Performances und Installationen. 

Zukunft erinnern

„Zeitgrenzraummaschine“ ist inspiriert von dem japanischen Konzept „Ōmagatoki". Es beschreibt den Moment der Abenddämmerung, wenn der Tag zur Nacht wird und es für einen Augenblick keine klare Abgrenzung beider gibt. Darüber hinaus kann der Begriff auch Umbrüche im Leben bezeichnen. Im begleitenden Text teilt Shibahara, dass sie sich besonders dafür interessiert, das Unsichtbare sichtbar werden zu lassen, und fragt, welche Spuren einschneidende Lebensereignisse in uns hinterlassen. 

Der Abend ist sehr minimalistisch gestaltet und beginnt im Foyer. Die Zuschauer*innen werden durch Shibahara selbst, gekleidet in einem schwarzen Blaumann mit silbernen Ballerinas, begrüßt. Ihre Bewegungen sind roboterhaft. Die futuristische Erscheinung macht die Umgebung zu einer hyperrealistischen Simulation, in der die Performerin wie ein Hologramm existiert. Es wirkt, als ob sie nicht wirklich anwesend wäre, sondern nur ihre Silhouette. Sie spricht, aber sie bewegt dabei keinen Muskel ihres Gesichts. Das Lächeln scheint eingefroren. Die Stimme, die zum Publikum spricht, kommt vom Band, ihre Bewegungen sind abgehackt und unmenschlich.

Alle Räume, so wird erklärt, setzen sich aus Erinnerungen zusammensetzen. Man könne durch den Raum erfahren, was die Menschen zu einer anderen Zeit an genau dieser Stelle gedacht und gefühlt haben, was sie bewegt hat. Es ist, als würden die Zuschauer*innen in eine ferne Zukunft versetzt, um von dort auf diesen Ort und die Menschen im Jahr 2024 zurückzublicken und zu versuchen, deren Gefühle zu erinnern. Die Roboterfrau führt 15 Minuten lang durch die Flure des Theaters, wie durch einen alten Ort, der neu erforscht wird – bis zur „Zeitgrenzraummaschine“, wo schließlich alle Platz nehmen dürfen.

Sinnliche Grenzerfahrung

Shibahara gelingt es durch das gekonnte Zusammenspiel von Licht und Sound, eine dichte Atmosphäre zu schaffen. Rein physisch passiert nicht viel an Bewegung oder gar Tanz. Echo Ho ist an ihrem Mischpult beinahe körperlich präsenter als Shibahara, die hinter dem wandernden Licht verschwindet. Dem Konzept schadet das aber keinesfalls. Der produzierte Sound setzt sich aus Collagen von Gesprochenen und vor allem elektronischen Klängen zusammen. Anfangs dezent und als Begleitung des Lichts durch den Raum gesetzt überlappen sich die einzelnen Soundelemente immer mehr und gehen mit dem Licht ein verdichtetes Gefüge einer Grenzerfahrung für alle Sinne ein. Noch verstärkt dadurch, dass es niemals wirklich hell im Saal wird, stellt sich in der Tat das Gefühl ein, in einer Maschine zu stecken, die sich an den Grenzen der Zeit und des Raumes bewegt. Vor allem für Freund*innen von Sound- und Lichtinstallationen ist die „Zeitgrenzraummschine“ trotz des etwas sperrigen Titels absolut sehenswert.


Dieser Text entstand im Rahmen des Projekts „Bewegungsmelder – Werkstatt für Tanzjournalismus aus NRW“, einer Kooperation von tanznetz mit dem Masterstudiengang Tanzwissenschaft des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und dem nrw landesbuero tanz.

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