„Lamento“ von Andreas Heise. Tanz: Hyo-Jung Kang, Agnes Su, Louis Stiens, Martí Fernández Paixà

„Lamento“ von Andreas Heise. Tanz: Hyo-Jung Kang, Agnes Su, Louis Stiens, Martí Fernández Paixà

Wenn es ernst wird

Drei Uraufführungen beim neuen Stuttgarter Ballettabend „Creations I – III“

Endlich hat er sich was getraut, der neue Stuttgarter Ballettintendant Tamas Detrich und präsentiert zu Spielzeitbeginn wieder, was in Stuttgart bester Brauch war: die Pflege hauseigener junger choreografischer Talente.

Stuttgart, 02/12/2019

Endlich hat er sich was getraut, der neue Stuttgarter Ballettintendant Tamas Detrich. In seiner vorigen, ersten Spielzeit ging er einerseits auf Nummer Sicher, andererseits versuchte er, mit der Einbindung prominenter zeitgenössischer Choreografen aus dem langen Schatten seines Vorgängers Reid Anderson hervorzutreten. Nun präsentiert er zu Spielzeitbeginn wieder, was in Stuttgart bester Brauch war: die Pflege hauseigener junger choreografischer Talente. Dabei knüpft der neue Ballettabend ziemlich genau da an, wo Reid Anderson aufgehört hat: Zwei der Choreografen, die für den Abend „Creations I – III“ Uraufführungen beigesteuert haben, gehörten auch zu den Gestaltern von Andersons Abschiedsprogramm „Die Fantastischen Fünf“.

Neu im Bunde ist nur Andreas Heise, der im vorigen Jahr bei der traditionellen Entdeckungsplattform der Noverre-Gesellschaft für junge choreografische Talente offenbar nicht nur das Publikum, sondern auch den Intendanten für sich einnehmen konnte. Mit „Lamento“ präsentierte er nun ein Stück aus der schwierigen Gattung Ach-nein-doch-nicht-Handlungsballett: Es geht um die Heimkehr von Odysseus, aber dessen Geschichte nutzt Heise eher als Aufhänger. Odysseus und Penelope sind dreifach besetzt – als junges, mittleres und älteres Paar – und dazu gibt es noch eine Vortänzerin, Göttin vielleicht – jedenfalls viel Anlass, nicht nur die Paare in Duos, sondern auch jeweils die Damen und Herren miteinander agieren zu lassen. Am spannendsten gelang ein zentrales Trio der drei Odysseus-Verkörperungen: Glanzrollen für starke Männer mit heftigen Gefühlen. Bei den Paar-Duos spielte viel Ballett-Konvention mit – da half auch die anspruchsvolle Musikmontage nicht zu mehr Originalität. Bjarte Eike hat Monteverdis Drei-Minutenstück „Lamento della Ninfa“, (das Heise für den Stücktitel inspiriert hat) ausführlich ergänzt und elektronisch bearbeitet.

Aber warum in die Ferne schweifen? Die beiden anderen Choreografen sind sozusagen echte Stuttgarter Eigengewächse, beide Solisten des Hauses. Jetzt, da es für sie so richtig ernst wurde mit der choreografischen Herausforderung, haben sie geliefert – und wie! Fabio Adorisio hat sich mit „Calma Apparente“ („Scheinbar ruhig“) dem Thema des Verdrängens wider besseres Wissen gewidmet und spielt elegant und ohne jeden erhobenen Zeigefinger auf Klimawandel und bedrohten Lebensraum an. Für Bühne und Kostüme hat er Thomas Mika gewinnen können, der ihm einen eindrucksvollen riesigen Papierschleier auf die Bühne gezaubert hat. Die Tänzer-Geschöpfe kriechen anfangs darunter hervor. Es sind seltsam kraftlose Gestalten, die mit den Armen flattern wie Vögel, die vergeblich vom Boden abheben wollen. Der Musikmix schürt die Stimmung wie Filmmusik, wenn die Tänzer (fünf Damen, drei Herren) sich im Mittelteil wie zum Tanz auf dem Vulkan aufschwingen, bevor am Ende sanftes Miteinander von einem Händel-Menuett eingeläutet wird.

Als stärkste Choreografie des Abends bleibt das Eingangsstück von Roman Novitzky in Erinnerung. Der hatte es in seinen bisherigen Kreationen verstanden, das Publikum durch Witz und Humor auf seine Seite zu bringen. Dieses Mal präsentiert er mit „Impuls“ Tanz pur. Im künstlerischen Zwiegespräch mit dem Stuttgarter Perkussionisten Marc Strobel, der für die Auftragskomposition „Monolith“ selbst an einer großen Rahmentrommel auf der Bühne stand, entwickelte sich ein faszinierender Dialog von Bewegung und Klang. Yaron Abulafia hat dafür einen Bühnenraum auf kreativer Augenhöhe geschaffen, puristisch schlicht und doch voll faszinierender Effekte durch bewegliche Leuchtkörper und durchlässige Wände. Aliki Tsakalou hat die drei Tänzerinnen und fünf Tänzer in schlichte schwarze Overalls gekleidet, für die Damen mit weit schwingenden Hosenbeinen. Mit scheinbarer Selbstverständlichkeit entfaltet sich ein intensives Zwiegespräch zwischen Klang und Bewegung, bei dem man der gegenseitigen Inspiration nachspüren kann. Das ist spannend, originell, handwerklich perfekt gemacht und von den Stuttgarter TänzerInnen auf hohem Niveau umgesetzt.
 

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