„Summerspace“ von Merce Cunningham. Tanz: Ensemble

„Summerspace“ von Merce Cunningham. Tanz: Ensemble

"The Dance Guy"

Dokumentarfilm in 3D über den großen Merce Cunningham

Es ist ein filmisches Denkmal, das schon längst fällig war: Alla Kovgans Hommage an einen der wichtigsten Tänzer und Choreografen des 20. Jahrhunderts.

Dieser Film kommt gerade noch zur rechten Zeit: am 16. April 2019 wäre Mercier Philip („Merce“) Cunningham 100 Jahre alt geworden, vor zehn Jahren, am 26. Juli 2009, ist er gestorben. Mit seiner revolutionären Kunst hat er Mitte des 20. Jahrhunderts ganz neue Wege im Tanz beschritten. Bis heute wirken seine Arbeiten, als wären sie gerade erst entstanden, dabei sind sie – zumindest die in diesem Film gezeigten – bis zu 75 Jahre alt.

Mit seiner schlichten und doch so raffinierten Choreografie, der Reinheit, Ursprünglichkeit und stellenweise meditativen Innigkeit seiner Bewegungssprache reduziert Cunnigham den Tanz meisterhaft auf das Wesentliche: die Bewegung an sich. Und doch ist sie nie Selbstzweck. „Mein Tanz ist nicht nur reine Bewegung, die nichts Bestimmtes aussagt – es ist immer ein Ausdruck darin. Aber welcher, das müssen die Zuschauer selbst sehen“, so sagte er mir einmal in einem Interview, das ich 1990 im Rahmen des Concours de Bagnolet in Paris mit ihm führen konnte, wo er als Präsident der Jury fungierte. „Die Zuschauer müssen oder können sich da selbst mit einbringen. Ich bin nicht dazu da, ihnen zu sagen, was sie fühlen sollen. Ich präsentiere eine Situation mit Tanz und Musik und Szenerie, und alle drei bringen etwas Weiteres zustande, etwas Neues, was wir vorher noch nicht kennen.“

Seine TänzerInnen sollten ihre Körper so schulen, dass sie ein breitestmögliches Bewegungsspektrum bieten könnten. Für ihn hatte jeder Tänzer seine eigenen Qualitäten, die er herausfinden wollte – jetzt, in dieser Situation. Und so wundert es nicht, dass Valda Setterfield, eine seiner Tänzerinnen, im Film sagt: „Ich mache hier Dinge, die ich nie für möglich gehalten habe – und es eröffnete sich eine neue Welt für mich.“ Und Gus Solomons jr. erinnert sich: „Er forderte von jedem zuallererst, er selbst zu sein als menschliches Wesen, und erst von dort aus ein Tänzer.“

Die Anfänge waren alles andere als leicht, und es ist die große Stärke dieses Films, dass er gerade diese schwierige Zeit zwischen 1944 und den beginnenden 1970er Jahren in den Mittelpunkt stellt. Von New York aus tingelte die Truppe im VW-Bus durch die amerikanische Provinz, ohne Geld, unter abenteuerlichen Bedingungen. Die Reaktionen auf die Vorstellungen waren oft ablehnend bis hin zu offener Feindseligkeit. Eine Zuschauerin forderte einmal sogar nicht nur das Geld für die Eintrittskarte zurück, sondern ebenso die Anreisekosten mit dem Bus und die Ausgaben für den Babysitter …

Cunningham arbeitete in dieser Zeit mit dem Komponisten John Cage zusammen (der zu Cunninghams Lebenspartner wurde) und ebenso mit Robert Rauschenberg, dem „jungen Wilden“ unter den damaligen bildenden Künstlern. 1964 startete die Kompanie zu einer großen Welttournee, die sie als erste westliche Tanzgruppe überhaupt in die damalige Tschechoslowakei und nach Polen führte. Aber auch bei dieser Rundreise stieß die hochmoderne Choreografie auf viel Unverständnis und Ablehnung. In Paris flogen gar Eier und Tomaten auf die Bühne, was Cunningham trocken kommentierte: „Ich wünschte, es wären Äpfel gewesen, wir hatten Hunger …“

1964, nach seinem künstlerischem Durchbruch bei der Biennale in Venedig, kündigte Robert Rauschenberg die weitere Zusammenarbeit mit der Truppe mit wenigen dürren Worten auf: er brauche die Zeit jetzt für sich und seine Arbeit. Die Nachricht erreichte Cunningham und seine Crew in Tokyo – der letzten Station ihrer Welttournee. Damit endete eine Epoche. Angesichts der großen Feinseligkeit um ihn herum wollte Merce sogar ganz aufhören. Und startete dann doch noch einmal ganz neu durch – es war der Beginn seiner Zusammenarbeit unter anderem mit Andy Warhol und Jasper Jones. Erst Ende 2011 löste sich die Cunningham Dance Company auf, zwei Jahre nach seinem Tod.

Alla Kovgan arbeitet bei diesem Film mit vielen historischen Dokumentaraufnahmen und ergänzt diese durch 14 herausragende Choreografien Cunninghams (u.a. „Septet“ zu Musik von Eric Satie, „Antic Meet“, „Summerspace“), getanzt von zwölf Cunningham-TänzerInnen der letzten Generation seiner Kompanie, die er alle noch selbst ausgebildet hat. Aufgenommen in 3D machen diese Tanzszenen etwa zwei Drittel des Films aus und verleihen ihm eine eigenartige Faszination und Magie, auch weil viele Szenen im Freien aufgenommen wurden. Von der Möglichkeit, in 3D zu drehen, war Alla Kovgan fasziniert, seit Wim Wenders seinen berühmten „Pina“-Film herausgebracht hatte: „Bis dahin hatte ich nicht daran gedacht, einen Film über Merce Cunningham zu machen“, erzählt sie. „Erst als ich 2011 zu den letzten Vorstellungen der Cunningham-Company ging, dachte ich, in 3D könnte das funktionieren, da wäre Potential. Auch weil Merce auf phantastische Weise den Raum erfasst und mit ihm gearbeitet hat.“

Hinzu kam eine eigenartige Konstellation: Pina Bausch und Merce Cunningham waren beide innerhalb von zwei Wochen, also fast zur gleichen Zeit, gestorben. „Als ich anfing zu recherchieren, realisierte ich, dass viele Merce vorwiegend als alten Mann kennen“, sagt Alla Kovgan. „Nur wenige, die heute noch leben, erinnern sich an ihn als jungen Tänzer und an seine frühen Arbeiten. Da gibt es aber einige ikonische Werke, die in Vergessenheit geraten sind, und ich realisierte, wie schwierig und schmerzlich diese ersten 30 Jahre für ihn gewesen sein müssen. Er war kein berühmter Choreograph, es war eine kleine Familie, die nur sich hatte – drei Schwule, die zusammen eine Company gründeten, und Merce war der ‚Dance Guy‘. Er hatte kein Publikum, keine Hilfe, keine Presse und große Schwierigkeiten, überhaupt auftreten zu können. Es war ein einziger Überlebenskampf.“ Es war die Grundlage für alles, was Merce Cunningham zu dem gemacht hat, was er wurde.

Wie sehr ihn gerade diese Zeit geprägt hat, zeigt noch einmal ein Zitat von 1990: „Das wichtigste ist – und ich sage das aus eigener Erfahrung – zu tun, was man will, unter welchen Schwierigkeiten auch immer. Zu zeigen, was man zu zeigen hat, unabhängig davon, ob der Ort dafür geeignet ist oder nicht. Tanz muss gesehen werden, egal, ob von vielen oder von wenigen Menschen. Als Tänzer und Choreograph musst du dafür sorgen, dass dein Werk gesehen wird, unter allen Umständen. Das ist nie leicht, und jede Vorstellung ist anders. Sie prägt den Eindruck. So ist das Leben – du denkst, du hast etwas fest im Griff, und dann merkst du, dass du flexibel sein musst. That’s allright!“

 

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