„Harleking“ von Ginevra Panzetti und Enrico Ticconi

„Harleking“ von Ginevra Panzetti und Enrico Ticconi

Die Berührung wird zur Geste

Zum Abschluss des Klagenfurter Tanzfestivals „Pelzverkehr“

Am letzten Tag des Pelzverkehr Festivals 2020 kuratiert Ingrid Türk-Chlapek unter ganz speziellen Bedingungen ein ganztägiges Programm an wechselnden Spielstätten in Klagenfurt/Celovec.

Klagenfurt/Celovec, 28/09/2020

Von Johanna Hörmann

Am letzten Tag des Pelzverkehr Festivals 2020 kuratiert Ingrid Türk-Chlapek unter ganz speziellen Bedingungen ein ganztägiges Programm an wechselnden Spielstätten in Klagenfurt/Celovec. Zu Mittag lud sie zum Austausch ins 'Wohnzimmer', nachmitttags zur Filmvorführung „...das weite Land, woher sie kommt“ von Isa Rosenberger im Jugendstiltheater, zur Performance „Bloom“ von Clarissa Rêgo im Künstlerhaus sowie zur zeitgenössischen Tanzperformance „Firebird“ von Ana Pandur im Stadttheater. Am Abend wurde ein kurzes Showing der Lindwurm Destruction Crew, ein zeitgenössischer „Harleking“ von Ginevra Panzetti und Enrico Ticconi und ein ausklingendes DJ-Set mit ‚social distancing dancing‘ in der theaterHalle11 geboten.

Wandelnde Körperbilder: Floral, Human und Skulptural
Clarissa Rêgo präsentiert sich in ihrer Arbeit „Bloom“ im Kunstverein Kärnten/Künstlerhaus Klagenfurt als Ausstellungsobjekt. Dabei geht sie sehr intuitiv vor. Die Performerin klettert eingangs auf das hohe Holzgestell und exponiert sich – zunächst stehend, später sitzend – auf dem Podest im Galerieraum. Machtverhältnisse vermitteln sich stets auch über das Blickregime. Haare, Rücken, Schulter, Bauch, Fleisch, Rundungen. Während das Publikum ihren nackten Körper betrachtet, ist ihr Blick in die unbestimmte Weite – weit über unsere Häupter ausgerichtet.

Wir schauen sie an, aber was sehen wir wirklich? Der Programmtext warnt „Menschen, die sensibel auf Nacktheit reagieren“. Dies ist keine Performance über Nacktheit. Vielmehr provoziert das offene Körperkonzept ein verändertes Wahrnehmungsverhalten. Es dechiffriert, so meine Lesart, eine „Nacktheit des Denkens“, wie es Jean-Luc Nancy nannte, und befragt eine Haltung für die eigene Empfänglichkeit und Empathie. Insofern sind Nacktheit, Berührung und Nähe hier Gesten der Sinnlichkeit.

Das ‚Sensorium‘ Körper wird durch Haut, Atmung, Stimme, Berührung vermittelt. Der interessantere Aspekt der Performance ist „Bloom“ als florale Denkfigur zu lesen. Mittels Körper-Bild-Metamorphosen wird hier Veränderung, Wandlung und Aufbruch – ähnlich einer floralen Ephemeralität – physisch im Werden und Vergehen markiert. Durch humane und nicht-humane, florale und skulpturale Imaginationsbilder entwirft, modelliert und deformiert Rêgo ihren Körper, der ständig aus sich selbst heraus mutiert, schwitzt oder stimmlich ächzt und vibriert, dadurch seine Form als sensorische Präsenz immer wieder verändert.

Voluptuöse Bewegungen und musikalisches Auf/begehren: Zwischen Flamenco und Heavy-Metal
Wir befinden uns im Orchesterprobenraum des Stadttheaters Klagenfurt. Mit „Firebird“ der slowenischen Tänzerin Ana Pandur wird ein Einblick in die lokale Tanzszene geboten. Pandur lebt in Ljubljana aber unterrichtet in Klagenfurt Flamenco. Gemeinsam mit dem Musiker Damir Avdić thematisiert sie Freiheit und Rebellion aus zwei unterschiedlichen Positionen. Pandur mit frenetisch wirbelndem Rock und rhythmisch hämmernden Schuhen; Avidić mit gutturalem Gesang und harten Gitarrenriffs. Flamenco wird, so Pandur beim Workshop, im Dialog mit Musik und Gesang getanzt. In „Firebird“ treffen szenisch zwei Subkulturen aufeinander. Die Arbeit offenbart aber eher ein Gefangensein statt dem intendierten Ausbruch.

Die soziokulturellen Verortungen kommen hier zu kurz. Es stellt sich zum Beispiel die Frage nach Gender-Modellen, die sowohl in der musikalischen Heavy-Metal-Szene als auch im andalusischen Flamenco (als südspanische Praxis der Unterschicht und gitanos/Roma) gegenwartsbezogen kritisch verhandelt werden. Statt die Komplexität von historischen und folkloristischen, transkulturellen und soziopolitischen Implikationen sowie die diffizilen Machtmechanismen von Rollenbildern neu aufzuspüren, verharrt hier Vieles trotz Verschiebung weiterhin im Klischee. Dabei ist der künstlerische Zugriff durchaus reizvoll. Gerade in den Bewegungsfiguren, ausgeführt mit flamencotypischen Handgelenksdrehungen und Handgesten, kommt Sinnlichkeit, Intensität und Ekstase zum Ausdruck. Mit maskulinen Stereotypen und Weiblichkeitsimaginationen (aus historischer Perspektive) wird hier aber nur scheinbar gebrochen, oder kritisch begegnet.

Interessant wäre es zu befragen, wie Geschlecht in diesem spezifischen Setting als Differenz und Machtverhältnis wirksam wird. Mit dieser Rollenzuweisung bleibt man am Ende etwas ratlos zurück. Bedeutungsebenen von Körper und Geschlecht im Heavy-Metal und Flamenco bleiben für eine tiefergehende künstlerische Auseinandersetzung unter der zeitgenössischen Perspektivierung dramaturgisch wie choreografisch zu oberflächlich gesetzt.

Maskierte Posen als gegenwärtige Harlekinade
In „Harleking“ von Ginevra Panzetti und Enrico Ticconi dient der Weltverfremder Harlekin aus der Commedia dell’Arte weniger explizit als Theaterfigur denn als Denkfolie für ein polemisches Körper- und Bewegungskonzept. Die historische Bühnenfigur ist in ihrer Typologie stets doppelbödig (böse und gut, Dämon und Spaßvogel) angelegt. Mit dem „Eccomi!“ („Da bin ich!“) tritt sie bekanntlich mit einem Gefühl von Dringlichkeit auf die Bühne. Doch ist sie erst da, ist nichts mehr, wie es scheint. Auch in dieser zeitgenössischen Resonanz sehen wir einen sitzenden (weiblichen) Harlekin mit einer ironisch einladenden Geste uns zu sich winken. Die zweite (männliche) Figur treibt in stehender Pose lachend ihre Kapriolen. Es ist, als würde sie gleich mit den in die Hüften gestemmten Händen zum Hofknicks ansetzen, aber dann fällt sie doch kichernd zu Boden. Typischer Zeigegestus, akrobatische Beweglichkeit, katzenhafte Eleganz und obligatorische „lazzi“ werden aus dem Bewegungsrepertoire des Harlekins für eine zeitgenössische Auseinandersetzung eindrucksvoll entlehnt

Ginevra Panzetti und Enrico Ticconi arbeiten seit 2008 als Duo. Ihre künstlerische Arbeit verbindet Tanz, Performance und visuelle Kunst. In ihrer künstlerischen Bewegungsrecherche widmen sie sich Themen, die sich historisch auf den Konnex von Kommunikation, Gewalt und Macht beziehen und greifen dabei auf hybride Figuren zurück, um ambivalente Bilder zu generieren. So ist die Wahl des italienischen Harlekins als Referenz nicht zufällig. Ist die Eingangsszene noch verhältnismäßig mit Humor überzeichnet, steigern sich die grotesken Bewegungsmuster bald ins Mechanische und Düstere. Bereits das Rautenmuster (am Kostüm und als projiziertes theatrales Zeichen) verweist auf die vollzogene Verwandlung, die sich einem eindeutigen Zugriff entzieht. Auch das typisierte Essen und der ständige Hunger wird als Topos bewegungsanalytisch von Panzetti und Ticconi aufgegriffen. Das Performenden-Duo perspektiviert die Figur erstens als transhistorisches Phänomen und zweitens als gefräßiges Bühnentierchen, das sich parasitär bedient.

Bewegungstechnisch erinnern die beiden Figurationen an Gliederpuppen. Das Körper- und Bewegungskonzept entfremdet den Körper völlig vom Organischen. In diesem Part sind Wiederholung, hypnotische Klänge und mechanische Bewegungsabläufe bestimmend: Eine schwarze Halbmaske verbirgt für gewöhnlich das Gesicht des Harlekins. Das Horn oder eine Beule verweisen auf seine teuflische Natur, die von den Performenden durch repetitive Handbewegungen im Gesicht nachgeformt und so theatral markiert werden. Auch jenseits ihrer tradierten genrespezifischen Zuschreibungen imaginieren die Performenden die Bewegungsabläufe des Harlekins, die dann durch choreografische Verfahren der Skandierung, Überlagerung, Abstraktion und Fragmentierung in sich zerlegt werden. Der Aspekt des Polemischen zeigt sich sicherlich am deutlichsten in der parasitären Doppelung beziehungsweise Spaltung der Performenden, die zugleich mit den ‚zerfressenden‘ Soundcollagen korrespondiert. Die facettenreiche Figur des Harlekin zeichnet sich durch eine ihr eigentümliche Ambivalenz und Anarchie aus. Sie lässt sich daher besonders gut in neue Kontexte einschreiben und überführen, da sie Bedeutungsdimensionen geradezu provoziert und verschiebt. Das polemische Potential wird besonders produktiv in einer Szene mit Armgesten genutzt, wo die Fingerhaltung der Performenden etwa als Saluto Romano erkennbar wird und als faschistisches Symbol politisch-ideologisch aufgeladen ist. Der militärische Gruß mit flacher Hand wird bald zur geballten Faust und wieder geöffnet jetzt mit aufgespreizten Fingern verschieben sich immer wieder die Lesarten. Im subversiven Spiel arbeiten die Performenden so die vorbelasteten Bedeutungsdimensionen von Kommunikation mittels Handgesten und Körperposen heraus, die im kollektiven Gedächtnis Italiens verortet werden.
 

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