"Room" von Olaf Schmidt; Júlia Cortés, Phong Le Thanh

"Room" von Olaf Schmidt. Tanz: Júlia Cortés, Phong Le Thanh

Sprechende Körper im Raum

„Room“ – eine neue Kreation von Olaf Schmidt

Während der Corona-Krise ein Ballett zu kreieren, ist eine besondere Herausforderung – dem Lüneburger Ballett und seinem Chef gelang ein besonderes Stück für diese besonderen Zeiten.

Lüneburg, 16/10/2020

Das Stück über den Raum war eigentlich erst für die zweite Hälfte der Spielzeit geplant. Aber angesichts der Restriktionen, mit denen man in Zeiten von Corona leben muss, gerade als Choreograf mit einer zehnköpfigen Kompanie, habe er seine Pläne geändert und das Projekt an den Anfang gestellt, sagt Lüneburgs Ballettchef Olaf Schmidt: „Ich mag das ja gerne, sich Schranken aufzuerlegen und darin eine neue Freiheit zu suchen. In diesem Stück ist der Raum der Hauptdarsteller – Menschen kommen in diesen Raum und beleben ihn mit ihrer Idee, was er alles sein kann.“ Das Konzept dafür habe sich noch einmal gefestigt, als er alleine im leeren Theater gestanden und gemerkt habe, was für ein Vakuum dieser Raum sei, so ganz ohne Menschen, ohne Bühnenarbeiter, ohne Künstler*innen, ohne Publikum: „Er war so einsam, dieser Raum.“ Überhaupt, so Olaf Schmidt, sei ihm in der langen Zeit des Shutdowns zwischen März und Ende Mai bewusst geworden, wie sehr das Theater sein Leben bestimme: „Es war brutal, wie sehr mir die Kommunikation mit den Menschen, mit der Kompanie, mit dem Publikum gefehlt hat. Es war eine ganz große Leere in mir. Und als wir wieder zusammenkommen konnten, wollte ich nicht einfach weitermachen wie vorher, sondern dieses existenzielle Gefühl der Ungewissheit und Leere benutzen und damit arbeiten.“ Das war die Ausgangsbasis für „Room“. Dass der Titel englisch ist, kommt nicht von ungefähr – das Englische lasse etwas mehr Spielraum in der Interpretation, sagt Olaf Schmidt, es sei großzügiger, nicht so festgelegt wie das deutsche Wort „Raum“.

Geprobt wurde nicht im Ballettsaal, sondern gleich auf der Bühne im fertigen Bühnenbild, bestehend aus zwei Sesseln, einem Tisch und hohen schwarzen Wänden, die jeweils 1-2 m voneinander entfernt aufgestellt sind. So entstehen Zwischenräume, Lücken, die wie Fenster hie und da Durchblicke erlauben ins Außen. Er habe seinen Tänzer*innen (darunter drei Neuzugänge) freie Hand gelassen, sich diesen Raum improvisierend zu erobern und mit Inhalt zu füllen, sagt Olaf Schmidt. Erst nach dieser Improvisationsphase habe er Hand angelegt und die Choreografie ausgearbeitet.

Und so entstand ein gut einstündiges Stück – zeitbegrenzt, damit an einem Abend zwei Vorstellungen getanzt werden können und somit gut 300 Menschen in den Genuss kommen können, es zu sehen, anstelle der 550 Personen, die der Zuschauerraum normalerweise fasst. Ein Stück, das voller Begegnungen ist, aber bar jeder Berührung zwischen den Tänzer*innen. Es gibt keine Hebungen, kein Werfen, kein Anfassen. Und doch fehlt einem nichts, so intensiv ist die Kommunikation auf der Bühne zwischen den Darsteller*innen. Es ist ein absolut beredtes Sprechen mit Körpern im Raum, Zwiegespräche oft, aber auch Monologe und Stimmengewirr. Da gibt es eine junge Frau, die auf der Suche ist nach einem Ziel (Irene La Monaca); einen jungen Mann, der gerne Seemann wäre (Samuel Dorn); ein junges Paar, das sich streitet und später wieder versöhnt (Sarah Altherr und Hugo Prunet); einen anderen Mann, der gerne raucht und darin sein Zuhause findet (Phong Le Thanh); eine Frau mit Koffern, die sich mit dem Raum nicht anfreunden kann (Claudia Rietschel); einen Mann in Grau (Wallace Jones), der sich später als ihr Ehemann und Vater der jungen Frau entpuppt, aus dessen Dominanz und Gewalt sie sich erst befreien muss. Da gibt es eine Vormieterin des Raumes, die wie ein Geist erscheint und wieder verschwindet (Rhea Gubler), und eine Frau in schilfgrünen Hosen (Júlia Cortés), die sich mit dem Zigaretten-Mann einen furiosen Pas de Deux aus Anziehung und Abstoßung liefert, mit eine der stärksten Szenen des Abends.

Kongenial die Auswahl der Musik für die 17 aufeinanderfolgenden Szenen – eine wilde Mischung von Max Richter über Tom Waits, Merz, Georgette Dee, Sven Regener/Element of Crime bis zu Freddy Mercury und Philip Glass.

Und so hat dieser Raum zwar enge Grenzen, aber er atmet auch eine ungeheure Weite, eine Positivität und Willenskraft, die eben die Kehrseite dieser unseligen Zeit ist, die uns so viele Beschränkungen auferlegt, so viel Verzicht, die aber auch Raum lässt für Nachdenklichkeit, für Besinnung, für das Erkennen des Wesentlichen. Von diesen Bewegungen der Tänzer*innen im Raum, die sich nie zu nahe kommen und doch einander so nah sind, geht eine zwingende Kraft aus, die für das Verbindende steht, für das Miteinander. Was für eine Symbolik!

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