Schwarze Ballerina erlebt Diskriminierung

Rassismus-Vorwürfe am Staatsballett Berlin

Die französische Ballerina Chloé Lopes Gomes wurde vor zwei Jahren in das Staatsballett Berlin aufgenommen. Nun erhebt sie schwere Vorwürfe gegen eine Ballettmeisterin der Kompanie, sie rassistisch beleidigt zu haben.

Berlin, 23/11/2020

In letzter Zeit brodelt es immer wieder in der Ballett-Welt. Passen Tradition, Disziplin und Einheitlichkeit noch in unsere heutige Zeit, die doch vor allem durch Heterogenität und Diversität geprägt ist? Diese Frage beschäftigt die Tanzwelt gerade aufs Neue, seit Rassismus-Vorwürfe am Berliner Staatsballett erhoben wurden.

Die schwarze Ballerina Chloé Lopes Gomes habe von einer Ballettmeisterin des Berliner Staatsballetts rassistische Kommentare zu hören bekommen und sei aufgefordert worden, sich für Aufführungen von „Schwanensee“ weiß zu schminken, sagte die 29-jährige Lopes Gomes dem Spiegel. Außerdem habe die Ballettmeisterin ihr gesagt, dass man nur auf sie schaue, weil sie schwarz sei. Die Ballettmeisterin will sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Die Vorfälle geschahen in der Zeit der Intendanz von Johannes Öhman und Sasha Waltz. Gegenmaßnahmen seien nach Angaben der Tänzerin nicht ergriffen worden. Interimsintendantin Christiane Theobald zeigt sich schockiert und drängt auf eine gründliche Aufarbeitung der Vorfälle. Sie habe die Senatsverwaltung für Kultur informiert und eine Aufklärungs- und Präventionskampagne gestartet. Mithilfe der Organisation „Diversity Arts Culture“ soll ein Zukunftskonzept verabschiedet werden.

Die Tanzkritikerin Dorion Weickmann ist vom Rassismus am Ballett nicht wirklich überrascht: „Es gibt wahrscheinlich sehr viel mehr, als wir denken.“ Es gebe wohl in vielen Compagnien mehr oder weniger unterschwellige Strömungen, die aber nicht immer an die Oberfläche gelängen. Das verwundert nicht, sind die Tänzer*innen in den festen Ballett-Kompanien doch durch ihre prekären Verträge in einer komplizierten Abhängigkeit von der künstlerischen Leitung. Ihnen kann von Spielzeit zu Spielzeit aus nicht weiter definierten „künstlerischen Gründen“ gekündigt werden. Dies war vermutlich auch der Grund, warum Lopes Gomes erst jetzt – nachdem ihr Vertrag nicht verlängert wurde – vom erlebten Rassismus spricht.

Nach Ansicht der Organisation „Dancersconnect“ hat der Fall weit über Berlin hinaus Bedeutung. Friedrich Pohl, Vorstandsmitglied des Tänzernetzwerks, sieht jetzt die Chance, eine verbindliche Linie für die gesamte Tanzszene zu entwickeln: „Es ist an der Zeit, einen Code of Conduct aufzustellen, der alle Arten von Diskriminierung ächtet und Bestandteil sämtlicher Arbeitsverträge wird.“ Dorion Weickmann fordert darüber hinaus, dass auch das Repertoire zu überdenken sei. An der Oper Paris – laut Weickmann „der Hort der Tradition schlechthin“ – haben fünf Tänzer im September ein Manifest geschrieben, in dem sie antirassistische Maßnahmen gefordert hätten – und zwar nicht nur innerhalb der Compagnie, sondern auch innerhalb des Repertoires. Dies sei – so Weickmann – interessant, weil mit den Klassikern „Schwanensee“ und „La Bayadère“ Themen auf der Ballettbühne vorhanden seien, „die wir heute einfach diskutieren müssen“.

Damit steht das Ballett erneut vor einer Sinnfrage. Geht es einerseits gerade um Einheitlichkeit, Tradition und das Bewahren des klassischen Kanons, stellt die Realtität unserer Gesellschaft und auch der Tänzer*innen heute meist das Gegenteil dar. Wie sollen Homogenität bei gleichzeitiger Forderung nach Diversität in der Kultur vereinbar sein? Das Ballett muss sich dringend grundlegenden Fragen stellen und möglicherweise Veränderungen in Kauf nehmen, um weiterhin gesellschaftsrelevant zu sein.

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