„Labourer“ von Madeleine Fournier / O D E T T A.

„Labourer“ von Madeleine Fournier / O D E T T A.

Die Geburt der Kulturtechnik

Madeleine Fournier / O D E T T A mit „Labourer“ beim Impulstanzfestival in Wien

Ein langer, tiefer Schrei eröffnet das Stück, eines von neun Produktionen im Rahmen der [8:tension] Young Choreographers' Series bei Impulstanz 2021.

Wien, 08/08/2021

von Johanna Hörmann

Eine Frau mit rosigen Wangen sitzt auf einem Hocker und blickt ins Publikum. Sie gibt tiefe unartikulierte Laute von sich. Etwas ist hier im Gange. Ist es Lust, ist es Schmerz? Im Hintergrund ertönt barocke Musik und vermischt sich zunehmend mit dem Stöhnen der Frau, das ihre mühevolle Arbeit erahnen lässt, die – so scheint es zunächst – in schmerzhafte Geburtswehen mündet. Die Zuschauenden schmunzeln, denn dieser Akt der Anstrengung ist nicht frei von Ironie. Oder ist es doch der surrende Klang einer Maschine, die auf hohen Touren läuft? Sicher ist nur, hier wird gerade etwas geboren. Ein langer, tiefer Schrei eröffnet das Stück, eines von neun Produktionen im Rahmen der Young Choreographers' Series bei Impulstanz 2021.

Erst nach dieser gelungenen Präambel beginnt die eigentliche (choreografische) Arbeit. Mit Kulturtechniken des Pflügens und Pflegens mit und durch den weiblichen Körper wird das Bewegungsvokabular der Französin kultiviert. Daraus entsteht ein mechanisches, gleichzeitig sehr feinmotorisches Bewegungskonzept. Madeleine Fournier beschäftigt sich in dieser Soloarbeit spezifisch mit dem pas de bourrée als kodifiziertes und zeitloses Bewegungselement, das sie mit alltäglichen Praktiken und Gesten (das Wiegen eines Kindes) sowie Themen um Sexualität, Mutterschaft und Arbeit miteinander verflechtet. Die Tänzerin spielt immer wieder mit der Begriffsklärung von ‚Kultur‘ etymologisch verbunden mit dem Ackerbau (‚cultura‘) und verhandelt zyklische Bewegungen, die Arbeit auf dem Feld, den Kreislauf der Natur mit ihren wiederkehrenden Schrittkombinationen. Ein Wechselspiel aus Schöpfung und Erschöpfung.

Die einzigen farblichen Akzente in dem Setting bilden ein blauer zusammengeraffter Vorhang und die roten Handschuhe. Von beiden Seiten wird das weiße Feld flankiert von mechanischen Trommeln (automatisiert von Clément Vercelletto), die sorgsam die steppenden und trippelnden Bewegungen der Tänzerin akzentuieren. Diese Figur, die leichtfüßig und schlüpfrig in drei Schritten ihr Formelement findet, dabei ganz in schwarz gekleidet, scheint geradezu aus einem surrealistischen Gemälde entsprungen zu sein.

Diese sich wiederholende Bewegungsstruktur wird schließlich unterbrochen und Fournier startet eine Filmvorführung mit einem alten Projektor. Als florales Zwischenspiel, das Herzstück des Abends, entwächst hier historisches Filmmaterial aus der Bühnenlandschaft. Auf der Leinwand mutieren wissenschaftliche Bilder des rasanten Pflanzenwachstums („le mouvement des plantes et des fleurs“) eindrucksvoll zu poetischen Bewegungskompositionen. Fleischliche Blüten und flinke Kletterstängel, die sich zart und sinnlich in Zeitraffer drehen, demonstrieren einen erstaunlichen, nicht-menschlichen Tanz. Ein dramaturgisch wirkungsvoller Griff gelingt mit diesem traumhaften Einschub.

Nach dem inszenierten Tanz der Pflanzen kehrt die Choreografin in einer weißen Tunika auf die Bühne zurück und gleitet, streichelt, singt. Das Stück Labourer der Nachwuchschoreografin Madeleine Fournier säht die Imaginationen des Publikums und ist dabei reich an Symbolik, die aber subtil und abstrakt bleiben will. Fournier legt hier nicht nur die Verwandtschaft von Kultur, Ackerbau und Gebären performativ frei, sondern präsentiert auch Nicht-Menschliches als Co-Aktion des Stücks. Der Mensch als alleiniger Kulturschöpfer ist jedenfalls fraglich.

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