"ARCHIPEL – Ein Spektakel der Vermischungen" von Stephanie Thiersch & Brigitta Muntendorf

"ARCHIPEL – Ein Spektakel der Vermischungen" von Stephanie Thiersch & Brigitta Muntendorf.

Schläuche, Organe und Tentakel

„ARCHIPEL - Ein Spektakel der Vermischungen“ im Kunstzentrum MaHalla

Zum Abschluss von „Tanz im August“ in Berlin: eine Performance von Stephanie Thiersch & Brigitta Muntendorf - imposant, wenn nicht sogar schwindelerregend großartig.

Berlin, 23/08/2021
Platz ist eigentlich genug. Die MaHalla, ein künftiges Kunstzentrum in Oberschöneweide, ist riesengroß; 3000 qm können künftig in der größeren der beiden Hallen bespielt werden. Das jedenfalls erhofft sich der Filmregisseur Ralf Schmerberg, der das ehemalige Werkgelände der AEG im Berliner Osten für 20 Jahre angemietet hat. Und doch kann der Norwegian Soloists’ Choir nicht auftreten, die Corona-Bedingungen erlauben es nicht. Imposant, wenn nicht sogar schwindelerregend großartig ist der „ARCHIPEL“ dennoch, der vor ein paar Wochen als 'Spektakel der Vermischungen' beim Festival „Theater der Welt“ in Düsseldorf seine Uraufführung erlebte und jetzt den Berliner „Tanz im August“ beschließt. In der Mitte des lang gestreckten Raumes schichtet er sich in die Höhe: ein Blätterwerk, das einen sofort an den „Brunnen der Völkerfreundschaft“ auf dem Berliner Alexanderplatz erinnert – und zugleich ein Eiland, das zwar keine Insel der Seligen ist, aber doch auf unterschiedlichstem Niveau eine Zusammenspiel der Künste ermöglicht, das fast schon etwas Futuristisches hat.

Sou Fujimoto, einer der prominentesten Architekten Japans, hat die filigran strukturierte Installation entworfen, die einen sofort an Skulpturen von Isamu Noguchi denken lässt, die uns aus den Arbeiten von Martha Graham dauerhaft geblieben sind. MOUVOIR und das Ensemble Garage bespielen, betanzen, beleben sie auf eine Weise, die immer etwas Organisches hat. Auf den ersten Blick könnte der „ARCHIPEL“ auch ein Ort sein, auf dem Stephanie Thiersch (Choreografie) und Brigitta Muntendorf (Musik) einen ganz persönlichen Sommernachtstraum platzieren. Von Fern her, aus dem Off erklingen anfangs Töne, als hätten sich irgendwo Waldvögelein in dem verzweigten Dickicht versteckt. Auch alles andere, was zwischen ganz unterschiedlich gestalteten Plateaus kreucht und fleucht, hätte etwas Geisterhaftes, gäbe es nicht einzelnen Akteure, die alles elfenhaft Leichte vermissen lassen. Kein Problem, Sita Messerer und Lauren Steel haben ohnehin eher Hybrides im Sinn und lassen aus den weißen Trikots immer wieder Schläuche, Organe und Tentakel herauswachsen, als kommunizierten künftige Körper damit auf eine Weise, die wir allenfalls ahnen können.

Erkennen lässt sich für einen Außenstehenden jedenfalls nicht, welchen Impulsen die beiden Ensembles folgen, die den „ARCHIPEL“ bevölkern. Kaskadengleich lagern einzelne Performende anfangs auf einzelnen Spielebenen, ein Instrument griffbereit. Wer keins hat, muss nicht unbedingt zum Kölner Tanztheater Mouvoir gehören; schließlich lässt sich auch die Skulptur als kollektives Instrument benutzen, und das geschieht denn auch nach einem insgeheimen Plan, der offenbar noch genug Spielraum für persönliche Entfaltung lässt. Zwanghaft wirkt jedenfalls an diesem gut anderthalbstündigen Abend nichts. Zwischendurch hat man sogar sekundenlang den Eindruck, als hätte sich Brigitta Muntendorf bei ihrer polyglotten Partitur auch von der Basler Guggenmusik inspirieren lassen. Wundern würde es mich jedenfalls nicht, wirkt doch der „ARCHIPEL“ manchmal wie ein Zufluchtsort, auf den sich jene gerettet haben, die noch das Banner der Freiheit schwingen. Vielleicht handelt es sich dabei aber auch um das Land Utopia, auf dem hoffentlich eines Tages auch der Obertonchor aus Oslo seinen angestammten Platz findet. In Berlin war leider nur per Videostream zugeschaltet.

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