Abschied von Patrick Dupond
Der ehemalige Solotänzer und langjährige Ballettdirektor der Pariser Oper ist verstorben
„Raymonda“ ist und bleibt ein problematisches Ballett – sowohl aufgrund der konventionellen, wenig ergiebigen Handlung als auch der nur bruchstückhaft erhaltenen Originalchoreografie von Marius Petipa (siehe auch Raymonda-Kritik Rom). In etwa drei Stunden wird hier erzählt, wie sich die provenzalische Gräfin Raymonda beim Warten auf ihren Verlobten, den Kreuzritter Jean de Brienne, der Verführungskünste des Sarazenenfürsten Abderam erwehren muss, bis dieser bei dem Versuch, sie zu entführen, vom heimkehrenden Jean de Brienne getötet wird, der dann Raymonda heiratet.
Trotz der dürftigen Handlung hat das außerhalb Russlands nur in wenigen Versionen bekannte Stück einige besondere Vorzüge: beispielsweise die vollständig erhaltene Musik Alexander Glasunows, dem mit dieser ersten Komposition für Ballett ein Meisterwerk gelang. Die strenge Trennung zwischen Tanz und Pantomime sowie die relative Handlungsarmut sorgen für zahlreiche lange Szenen reinen Tanzes, die bereits den Weg in die Abstraktion des 20. Jahrhunderts weisen. Schließlich beinhaltet das Stück auch eine gelungene Mischung aus klassischem Tanz und spanischen, ungarischen und orientalischen Charaktertänzen.
Rudolf Nurejew machte sich gleich mehrmals an die Reproduktion von Petipas letzter Großproduktion: Es war sein erster abendfüllender Klassiker nach seiner Ankunft im Westen und – in neuer Version – seine erste Produktion nach seiner Ernennung zum Direktor des Balletts der Pariser Oper im Jahr 1983. Für dieses Antrittsstück ließ Nurejew Bühnen- und Kostümbildner Nicholas Georgiadis freie Hand, und das Ergebnis ist ein beeindruckendes Fest für die Augen hauptsächlich in Rot, Gold, Silber, Braun und Grün. Nurejews Choreografie ist ähnlich dicht, wobei er wie so oft vor allem den Männern mehr Gewicht verleiht. So schafft er beispielsweise ein Duo für Bernard und Béranger im 1. Akt sowie mehrere zusätzliche Variationen von halsbrecherischer Schwierigkeit für Jean de Brienne, durch die sich der etwas blasse Charakter zumindest tänzerisch beweisen kann. Für Abderam, ursprünglich eine Pantomimerolle, kreiert er im 2. Akt mehrere kraftvolle Variationen, die ihn mehr als nur zu einem Gegengewicht Jean de Briennes machen (in Nurejews Version ist Raymonda sichtbar beeindruckt von dem entschlossenen Verehrer).
In Nurejews „Raymonda“ gibt es fast keine tänzerischen Leerstellen: Knifflige Variationen alternieren mit Gruppen- und Charaktertänzen, die höchste Präzision erfordern. So kann das Stück nur gelingen, wenn Solisten und Corps den tänzerischen Herausforderungen gewachsen sind: Das war sowohl bei Marie-Agnès Gillot (Raymonda) als auch bei José Martinez (Jean de Brienne) und Nicolas Le Riche (Abderam) der Fall. Gillot und Martinez tanzten ihre Rollen technisch souverän, doch darstellerisch weniger überzeugend – dies kann man Martinez, dem hier vielleicht die dramatisch uninteressanteste Männerrolle des klassischen Repertoires zufiel, kaum vorwerfen. Gillot wirkte zu stark und unnahbar, um sich selbst von Nicolas Le Riches glühend sinnlichem Abderam beeindrucken zu lassen, der in seinen feurigen Variationen im 2. Akt vollkommen überzeugen konnte. Dennoch: im Grand Pas des 3. Aktes beschlossen Gillot und Martinez das lange tänzerische Fest mit Bravour.
Auch die Nebenrollen waren an diesem Abend zum Teil brillant besetzt: Besondere Erwähnung verdienen die Etoiles Dorothée Gilbert (exzellent und hochpräzise) und Emilie Cozette als Henriette und Clemence, deren Rollen beinahe ebenso anspruchsvoll waren wie die der Hauptfigur. Josua Hoffalt zeigte als Béranger beachtliches Potential, und im sarazenischen und spanischen Tanz des 2. Aktes schillerten als fußflinke Solisten Géraldine Wiart, Marc Moreau, Mathilde Froustey und Gil Isoart. Das Corps zeigte sich trotz Müdigkeit und Concours in sehr guter Form. Zweifelsohne eine der gelungensten Nurejew-Produktionen, wenn auch eine enorme Herausforderung an die Kompanie und an die Aufnahmefähigkeit des Zuschauers, die man jedoch bei so guter Besetzung gerne auf sich nimmt.
Besuchte Vorstellung: 15.12.2008
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