Irena Milovan

Trainingsleiterin auf der ganzen Welt

Den Haag, 30/10/2009

Ich frage mich oft: wo würde ich, wäre ich noch eine junge Tänzerin, heute am liebsten tanzen? Ich glaube meine Lieblingskompanie ist, wie vor zwanzig Jahren, das Nederlands Dans Theater in Den Haag! Sie feiert Ende dieses Monats ihr 50-jähriges Bestehen. Wenn ich meinen langjährigen Freund Gérard Lemaître besuche (er war einer der Ersten und tritt noch manchmal mit NDT 3 auf, mit 73 Jahren!), dann nimmt er mich mit und wir genießen es, den wunderbaren jungen Tänzern und Choreografen bei der Arbeit zuzusehen.

Dieses Mal war es für mich eine große Freude, eine ganz besondere Lehrerin zu treffen, die ich nie vergessen habe und die das Training der Kompanie für den Monat Oktober übernommen hat: Irena Milovan. Sie galt damals als eine der besten Giselle-Interpretinnen und sie erzählte mir wie die große Tamara Toumanova vor ihr als Gast in der Produktion von Serge Lifar getanzt hat und wie nervös sie war, nach ihr zu tanzen! Lifar beruhigte sie, indem er ihr sagte: „Toumanova ist ein großer Star und du bist Giselle“.

Für mich gibt sie wie keine andere Lehrerin, die ich kenne, einen zeitgemäßen Waganowa-Ballettunterricht! Sie hat diese so unterschiedlichen, starken Tänzerpersönlichkeiten voll im Griff. Sie verlangt viel Disziplin, auch vom Pianisten, aber sie tut es mit viel Liebe, Humor und Respekt. Die Kompanie liebt sie und vertraut ihr. Sie gibt kurze verschiedenen Tendu-Kombinationen an der Stange. Dabei achtet sie ganz genau darauf, dass die Tänzer das tun, was sie angesagt hat. Der Aufbau der Stange ist genial und ich bin sicher, dass unsere gute Waganowa es lieben würde! Dies hat den Vorteil, dass die Tänzer platziert, warm und nicht müde sind, wenn sie in die Mitte kommen. Auch in der Mitte sind die Übungen kurz, aber alles ist drin, es wird wenig gesprochen, viel bewegt. Das Tempo des Unterrichts ist ihr sehr wichtig, sie beobachtet alles und schafft eine entspannte Arbeitsatmosphäre. Nach dem Unterricht hatten die Tänzer noch so viel Energie, dass sie den Pianisten gebeten haben, noch ein Paar Codas zu spielen, um Tours secondes, Fouettés und Tours en l‘air zu springen, ein Feuerwerk!


Ich habe ihr meine sechs Fragen gestellt:

1. Wie und wann sind Sie zum Unterrichten gekommen?

Irena Milovan: Mein Interesse am Unterrichten wurde schon sehr früh geweckt. Meine erste Ballettlehrerin in Zagreb hat uns oft die Aufgabe gestellt, selbst eine Exercice auszudenken. Sie wollte damit erreichen, dass wir verstehen, was wir tun. Meine wichtigen Erfahrungen habe ich mit dem Unterrichten für Kinder in Santiago de Chile gemacht. Meine eigene Schule war noch so präsent, dass ich weitergeben konnte, was ich gelernt hatte. Auch in Zürich habe ich neben meiner solistischen Tätigkeit Kinder an der Schule des Theaters unterrichtet.

2. Welche Meister haben Sie nicht vergessen? Und warum? 

Musja Ignjatovic, meine erste Lehrerin in Zagreb. Sie hat mir die richtige Basis gegeben! Ohne sie hätte ich nie lernen können, was ich bei all den anderen gelernt habe! 

3. Sind Sie der Meinung, dass man das Lehren lernen kann? Wenn ja, wie sollte Ihrer Meinung nach so eine Ausbildung aussehen? 

NEIN! In den Musikschulen gibt es das Fach Komposition. Aus diesen Klassen kommen keine Komponisten. Wichtig ist beobachten und richtig sehen! Viele Leute schauen, aber sehen nicht!

4. Muss für Sie ein Lehrer professionell getanzt haben? 

JA!

5. Was ist für Sie das Wichtigste für erfolgreichen Unterricht?

Das Tempo des Unterrichts muss stimmen. Und richtig zusehen!

6. Welche Korrekturen sollen Ihre Schüler nicht vergessen? 

Keine besonderen Korrekturen. Die Fähigkeiten des Schülers, etwas aufzunehmen, sind bei jedem verschieden. Er muss etwas von jedem Lehrer bekommen. Vielleicht eine Fähigkeit, die mir sehr wichtig ist: Ehrlichkeit bei der Arbeit!


Kurzbiografie
Geboren wurde Irena Milovan 1937 in Zagreb. Mit zehn Jahren trat sie in das Erste Staatliche Konservatorium für Musik und Tanz in Zagreb ein, 1954 wurde sie im Alter von 17 Jahren an die Oper in Zagreb engagiert. 1957 holte sie Nicholas Beriozoff als Solistin nach Stuttgart. 1959 folgt sie Ihren Mann Octavio Cintolesi nach Santiago de Chile, wo sie in seiner neuen Kompanie, dem Ballet de Art Moderno, alle großen Rollen des Repertoires tanzt und gleichzeitig bis 1966 eine der Kompanie angeschlossene Ballettschule gründet. 1966 ruft sie Nicholas Beriozoff wieder zu sich, dieses Mal nach Zürich, wo sie bis 1973 seine erste Solistin bleibt. Zwischen 1973 und ‘76 tanzt sie in Bonn unter Cintolesi, 1976 geht sie nach Lyon. In den zehn Jahren, die sie an der Opéra de Lyon arbeitet, gibt sie das Tanzen auf und wird Ballettmeisterin. Von 1986 bis ‘91 unterrichtet sie das Nederlands Dans Theater und am Königlichen Konservatorium in Den Haag. Zwischen 1991 und 2002 arbeitet sie als Ballettmeisterin in Madrid unter Nacho Duato. Seit 2002 ist sie freie Trainingsleiterin und unterrichtet regelmäßig in Frankfurt bei William Forsythe, in Madrid bei Nacho Duato, beim Cullberg Ballet in Stockholm, beim Opéra Ballet in Lyon und beim NDT in Den Haag.
 

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