Ein Triumph der Jugend
John Neumeier eröffnet die 48. Hamburger Ballett-Tage mit „Romeo und Julia“
Womit rechnet man, wenn es heißt, das Chinesische Nationalballett gastiert? Auf jeden Fall mit üppigen Ensembles, messerscharfem Drill, opulentem Bühnenbild. Nichts dergleichen war zu sehen am Dienstagabend in der Hamburgischen Staatsoper. Stattdessen eine fast rührend romantische Geschichte, mit allem, was da so an Theaterdonner dazugehört: in den 1920er Jahren wird ein junges Mädchen vom Lande für den Mandarin gekapert, um dessen zweite Konkubine zu werden. Sie wehrt sich mit Händen und Füßen, wird aber doch brutal ins Hochzeitsbett gezwungen, misstrauisch beäugt von der bereits vorhandenen Ehefrau und der ersten Konkubine. Dem jungen Mädchen ist die Zwangsehe umso mehr zuwider, als sie in Liebe zu einem jungen Schauspieler der Peking-Oper entflammt ist. Ihn trifft sie weiterhin, natürlich heimlich, wird von der ersten Konkubine entdeckt und verraten. Der Mandarin wirft das Liebespaar zornentflammt in den Kerker, derweil die erste Konkubine sich von dem Verrat Vorteile erhofft. Mitnichten! Der Mandarin ist höchst erzürnt über ihr Verhalten und weist sie in die Schranken. Sie rächt sich, indem sie eigenmächtig im Palast alle roten Laternen anzündet – eine Handlung, die ausschließlich auf Befehl des Mandarins erfolgen darf und seine Macht symbolisiert. Damit hat sie nun gänzlich verloren und wird ebenfalls zum Tode verurteilt. Im Kerker stößt sie auf das Paar, das sie verraten hat. Aber in Anbetracht dessen, dass sie alle drei bald des Todes sein werden, überwinden sie ihre Feindschaft und schließen Frieden. Was nicht verhindern kann, dass sie hingerichtet werden.
Wow. Dass diese triviale Handlung nicht zur Schmonzette verkommt, ist das große Verdienst des Choreographen Xin Peng Wang (mittlerweile Chef des Dortmunder Balletts) und von Zhang Yimou, der für Libretto, Regie und Licht verantwortlich zeichnet. Mit farbenfrohen, aber nicht überzeichneten Kostümen und einer ausgeklügelten, sensiblen Lichtregie bleibt die Bühne angenehm dezent, und bietet im entscheidenden Moment dennoch den nötigen Augenschmaus. Poetisch die Momente, wenn die vielen roten Laternen entzündet werden und dann vom Corps der zierlichen Mädchen durchs nachtblaue Dunkel getragen und geschwenkt werden. An solchen Stellen ist spürbar, dass das Stück bereits einmal als Film inszeniert worden ist, wofür Zhang Yimou 1991 den Silbernen Löwen eingeheimst hat.
Das Bewegungsvokabular orientiert sich stark an westlichen Traditionen und bietet solides Handwerk und so viel Abwechslung, dass das Zuschauen eine Freude ist, zumal die Protagonisten sich mit Verve in ihre Rollen stürzen.
Der Clou an dem ganzen sind jedoch Passagen, in denen die traditionelle Peking-Oper zitiert wird, wozu auch für ein kurzes Stück drei Musiker alter Tradition auf der Bühne mitwirken. Hier wird spürbar, welche grandiose Geschichte die chinesische Kultur aufzuweisen hat – und es ist kaum vorstellbar, was davon durch die Kulturrevolution alles verloren gegangen ist. Umso bedeutsamer ist es, wenn junge Choreografen und Regisseure sich heute dieser Elemente besinnen und sie in das zeitgenössische Repertoire integrieren. In Kombination mit dem westlich orientierten Tanz entstehen so höchst reizvolle Gegensätze, die auf eigene Art die spannungsgeladenen Situation am Hofe des Mandarins verdeutlichen.
Sehr effektvoll auch die Idee, die Hinrichtung der drei Menschen zu symbolisieren, indem eine Horde von Kriegern mit langen, in rote Farbe getauchte Latten die weiße Leinwand des Hintergrund-Prospekts traktieren – die roten Streifen ziehen einen blutige Spur, während in der Bühnenmitte vom Schnürboden rieselnder Schnee die drei toten Körper bedeckt. Ganz großes Kino!
Eine weitere Vorstellung am 6. Juli um 19.30 Uhr
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