Komische Verwirrung im Elfenwald

John Neumeiers „Sommernachtstraum“ bei den Hamburger Balletttagen

Hamburg, 22/06/2012

Es ist schon lange bekannt, dass John Neumeier einer der sehr wenigen Choreografen ist, die dramaturgisch überzeugende Handlungsballette auf literarischer Grundlage schaffen. Dass er aber auch zu den raren Talenten gehört, die das komische Ballettgenre perfekt beherrschen, beweist sein „Sommernachtstraum“ aus dem Jahr 1977, ein Werk, das mit seinem leichten, rein tänzerischen Humor geistvoll ist wie eine Shakespeare-Komödie.

Der Choreograf wählte als musikalische Grundlage seines Balletts eine Klangcollage aus Mendelssohn für Theseus’ Hof, Ligeti für die Szenen im Märchenwald und Drehorgelmusik für die Auftritte der Schauspieltruppe. Auch Jürgen Roses elegante Ausstattung differenziert die verschiedenen Welten - im vornehmen Athen dominieren Weiß, Blau und Gold, der Traumwald ist in grün schimmerndes Licht und Silberglanz getaucht und die Schauspieltruppe kleidet sich in bunte, wild gemusterte Stoffe. Die Mythen- und Elfenwelt sind parallel angelegt, was durch zahlreiche tänzerische Doppelungen veranschaulicht wird - so sind Hippolyta/Titania, Theseus/Oberon und Philostrat/Puck jeweils von denselben Tänzern besetzt. Wie so oft bei Neumeier werden die Grenzen zwischen Traum und Realität kunstvoll verwischt, was dadurch begünstigt wird, dass es sich bei beiden Ebenen um Phantasiewelten handelt. Diese kommunizieren ständig miteinander und beeinflussen sich wechselseitig. Häufig versinken Protagonisten in Schlaf, erleben filmartige Traumsequenzen in Zeitlupe und wachen in einer Welt auf, in der nichts mehr ist wie zuvor. Da der Choreograf um die Shakespearesche Rahmenhandlung mit dem Erwachen Titanias ganz zum Schluss einen weiteren Rahmen spannt, ist am Ende nicht klar, ob alles ein Traum Hippolytas oder ein Traum der Elfenkönigin war oder ob das Herrscherpaar ein Doppelleben führt.

Eine von Neumeiers größten Stärken liegt darin, die Figuren und ihre Beziehungen zu einander choreografisch zu charakterisieren. So wird beispielsweise der Ehestreit zwischen Oberon und Titania ohne jede Pantomime ausgetragen, vor allem durch gewagte Hebungen, die die langbeinige und höchst grazile Elfenkönigin (Hélène Bouchet) irreal schillernd über den Köpfen ihrer Untertanen thronen lassen. Auch die Persönlichkeiten und die verworrenen Beziehungen der vier jungen Athener Helena (Leslie Heylmann), Demetrius (Alexandre Riabko), Hermia (Anna Laudere) und Lysander (Edvin Revazov) werden rein tänzerisch gezeichnet. Die Uneinigkeit zwischen den Paaren wird noch verstärkt, als Puck, der hinter Helenas Brillengläsern wenig klar sieht, höchst inkompetent mit einer liebesstiftenden Blume zu hantieren beginnt. Immer hilfloser irren die verschmähten oder verfolgten Liebenden durch den Wald und begegnen sich in Pas de deux, Pas de trois und Pas de quatre, die Meisterwerke der verschachtelten Hebungen, unsanften Würfe und Fälle sind. Noch mehr Chaos wird durch die Ankunft der herzerfrischend tölpelhaften Schauspieltruppe gestiftet. Neumeier stapelt die Schauspieler übereinander, verkeilt sie und lässt ihre Arme ruckartig kreisen wie den stockenden Mechanismus ihrer Drehorgel. Die Häufungen, Verstrickungen und mühevollen Schlangenlinien der ungehobelten Schauspieler schaffen komische Kontrastbilder zu den kunstvollen Skulpturen, die der Choreograf mit den leichtfüßigen Elfen kreiert. Diese bilden stets wehende, fließende, organische Gruppierungen, zum Beispiel wenn sie sich zu einem sich ständig wandelnden lebenden Bett für die meist überirdisch schwebende Titania formieren.

Neumeiers Choreografie für die Schauspieltruppe gehört zu den genialen komischen Höhepunkten des Balletts: Schon die Probe im Wald mit Carsten Jung als fahrig-autoritärem Zettel und Konstantin Tselikov als Flaut, der sich gar nicht gerne in Frauenkleider zwängen lässt, ist unwiderstehlich. Ihr Auftritt in „Pyramus und Thisbe“ während der abschließenden Hochzeit ist ein hinreißendes „Ballett im Ballett“, in dem selbst die Wände, der Mondschein und ein ganz in rosa gekleideter Löwe tanzen. Die inzwischen spitzenbeschuhte Thisbe/Flaut stolpert mit umso größeren Elan über die Bühne, als ihr Pyramus/Zettel mit dem Schwert am Hals deutlich macht, was ihr bei Versagen droht. Carsten Jung beweist in seiner nicht immer schmeichelhaften Partie herrlichen komischen Charme. Sein humorvolles Gegenstück in der Elfenwelt ist der junge Alexandr Trusch als Puck, dessen freches Treiben umso vergnüglicher ist, da er mit höchster tänzerischer Leichtigkeit nur so über die Baumwipfel fliegt - wenn er sich nicht gerade versehentlich zwischen zwei schlafenden Erdenmenschen einklemmt. Seinen Übermut kann nur der würdevolle Elfenkönig Oberon (Ivan Urban) stoppen, der seinem ungezogenen Diener schließlich vor Wut über die ganze von ihm gestiftete Verwirrung den Hintern verdrischt. Doch zum Glück nehmen alle Liebeshändel ein gutes Ende mit einer prunkvollen Dreifachhochzeit. Es wäre Zeit, an eine Verfilmung dieses komischen Meisterwerkes zu denken, das einmal mehr zeigt, wie wirkungsvoll Handlungsballette sein können, die durch Tanz erzählen.


Besuchte Vorstellung: 20.6.12

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