„Manon“

München, 19/12/2000

Man sollte es kaum für möglich halten, dass der Choreograf des Abendfüllers „Manon“, der jetzt vom Bayerischen Staatsballett als Deutsche Erstaufführung ins Repertoire genommen wurde, eben jener Kenneth MacMillan ist, der einst für das Stuttgarter Ballett die Meisterwerke „Las Hermanas“, „Das Lied von der Erde“ und „Fräulein Julie“ geschaffen hat. Genauso schwer vorstellbar, dass MacMillan dieses Stück erst im Jahre 1974 für das Londoner Royal Ballet choreografierte, also ein Jahr nach dem Tode seines Kollegen und engen Freundes John Cranko und folglich in Kenntnis von dessen wegweisenden dramaturgischen Neuerungen.

Rundheraus gesagt, dieses Ballett nach dem berühmten Roman von Abbé Prévost ist eine durch und durch anämische, zähflüssige Angelegenheit, und wenn es, was selten genug geschieht, einmal pathetisch oder heiter sein will, dann wird es reichlich banal und albern. Daran hat auch die gründliche Revision und Straffung durch den Londoner Ballettchef Anthony Dowell kaum etwas geändert. Die von Leighton Lucas aus zahlreichen Kompositionen von Jules Massenet (nicht aus seiner Oper) zusammengesuchte und arrangierte Musik trägt mit ihrem überwiegend spannungslosen Gesäusel zu diesem Eindruck wesentlich bei, und die von Peter Farmer neu entworfene, unerhört schwere und düstere, naturalistische Ausstattung (eine Leihgabe von der Wiener Staatsoper) erdrückt das Geschehen beinahe und gibt der Produktion damit den Rest.

Die Geschichte der Manon Lescaut, die zum jungen Des Grieux in Liebe entbrennt, aber nicht von Geld und Schmuck der älteren Herren lassen kann, die ihr von ihrem Bruder zugeführt werden, die als Prostituierte nach New Orleans verbannt wird und dort in den Armen von des Grieux stirbt, sie wird von MacMillan recht penibel und schön der Reihe nach erzählt. Aber ihm ist, ausgenommen der von vielen Galas bekannte, hinreißende Pas de deux à la Cranko im ersten Akt, kaum je eine wirklich dramatische Szene gelungen, die seinen Personen ein charakteristisches Profil verleiht.

Stattdessen jagt ein Divertissement das andere, ob Bettler springen, Huren in den Salons sich lüstern wiegen (oh, britische Erotik!) oder der besoffene Lescaut des bulligen Kirill Melnikov wüst springend tanzkalauert und dabei kein Ende findet. Das plätschert so dahin. Um Seelenzustände zu illustrieren, hat sich der Choreograf häufig merkwürdig exaltierte, oft unerhört unorganisch wirkende Bewegungen einfallen lassen, die am meisten Oliver Wehe (Des Grieux) zu schaffen machen, dem an diesem Abend kaum je etwas richtig gelingt und der erschreckend farblos wirkt.

Lisa Cullum (Manon), eine auch sonst nie extrovertierte, technisch tadellose Tänzerin, gibt ihrer Partie einen feinen, aquarellhaft-sinnlichen Anstrich, der stets eine gewisse Distanz zu ihrem ruchlosen Treiben ahnen lässt. Wie sie sich am Ende gleichsam in Nichts auflöst, das hat schon Format. Sehr gut auch der soignierte Peter Jolesch als Monsieur G.M. und die gutgelaunte, bestechend tanzende Geliebte der Judith Turos.

Das heterogene Münchner Corps bekleckert sich an diesem Abend nicht gerade mit Ruhm. Aber wie soll es sich auch fühlen, wenn die Huren in Louisiana an Land gehen, als wollten sie das Schattenreich der „Bayadère“ verhohnepipeln, wenn es der lahmsten Fechtszene der Ballettgeschichte zuschauen muss und zu siebt eine einzelne Prostituierte verhaftet. André Presser am Pult des Staatsorchesters lässt schön spielen, kann aber auch nichts mehr retten. Der Münchner Ballettdirektor Ivan Liska muss sich ja in höchster Choreografennot wähnen, wenn er in ihr zu einem solchen Opus greift. Dagegen ist ja Stuttgarts „Don Quijote“ ein Geniestreich!

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