Christoph Winklers mit dem FAUST ausgezeichnetes Stück „Das wahre Gesicht“

Christoph Winklers mit dem FAUST ausgezeichnetes Stück „Das wahre Gesicht“

Freie Szene, feste Häuser

Pick bloggt

Der November ist vorbei und es gibt noch Ereignisse, die ich nicht verarbeitet habe. Doch sie sind wichtig, obwohl sie von Seiten der Tanzgemeinde zu wenig Aufmerksamkeit finden.

Der November ist vorbei und es gibt noch Ereignisse, die ich nicht verarbeitet habe. Doch sie sind wichtig, obwohl sie von Seiten der Tanzgemeinde zu wenig Aufmerksamkeit finden. Wenn ich von Gemeinde spreche, meine ich keine homogene Gemeinschaft, sondern eine bunt gemischte Gesellschaft, in der jeder nur seinen eigenen kulturellen Vorlieben frönt. In gewisser Weise hat das sogar wieder zugenommen in unserem Land. Obwohl ich mir große Mühe gebe, müsste ich lügen, wenn ich nicht auch an diesem Phänomen litte. Wir waren einer Koexistenz schon mal näher als heute.

Zum Beispiel nahm die Deutsche Oper Berlin den „Grünen Tisch“ oder „Tutuguri“ von Wolfgang Rihm ins Repertoire, John Cranko experimentierte mit Stücken wie „Die Befragung“ und „Presence“ zu Musik von B. A. Zimmermann und Hans Kresnik feierte in Bremen mit „Schwanensee AG“ Erfolge. Cranko bemühte sich mit Erfolg und Hilfe der Noverre-Gesellschaft um Choreografen-Nachwuchs. Auch Kritiker ließen den Blick in dieser Zeit neugierig schweifen, etwa der Großkritiker Horst Koegler der Pina Bausch durch ihr Bacchanal in der Oper „Tannhäuser“ entdeckte, und schrieb: „... das müssen Sie gesehen haben, den Rest der Oper können Sie sich schenken ...“. Auch Jochen Schmidt rief nach fehlenden Choreografen und vor allem Dramaturgen. Bei den Choreografen hat es was genützt, bei den Dramaturgen sehe ich weit und breit nur großartige Programmhefte, wovon in den Stücken nicht viel zu sehen ist, was zum Beispiel bei Jochen Ulrich – einer doch weit unterschätzten Choreografie-Begabung – häufiger der Fall war.

Daran ist nicht zuletzt die Ausbreitung der „Freien Szene“ verantwortlich, denn sie negiert zum großen Teil Tanz, was Pina Bausch ja auch in meisterhafter Art betrieben hat, bis sie wieder zurückfand zu ihren Wurzeln. Wie auch Billy Forsythe, der heute quasi in der „Freien Szene“ angekommen ist: indem man das Tanzen vernachlässigt und damit experimentiert, Texte möglichst in englischer Sprache vorzutragen, die die Sinnlosigkeit dessen, was auf der Bühne passiert, noch unterstreichen. Absurdes Theater ist herrlich, aber es bedarf Texte wie von Beckett, Ionesco oder anderer kluger Autoren, die einen Subtext erlauben.

Ich wollte aber eigentlich über die Faust-Preisverleihung berichten, die in diesem Jahr in der Hamburgischen Staatsoper stattfand und für mich die Beste seit ihrer Erfindung vor acht Jahren war. Und das ist Ulrich Matthes zu verdanken, der mit einer köstlichen Nonchalance durch den Abend führte, dass es eine Freude war. Unnachahmlich die Begrüßung des Oberbürgermeisters der Hansestadt, Olaf Scholz, und aller Künstler inklusive der John-Neumeier-Tänzer, die sich nicht zu schade waren, diesen Abend zu verschönen. Für Christoph Winkler habe ich mich gefreut, dass zum 1. Mal nicht ein Nominierter von einer Staatsbühne den Preis erhielt. Er hat allerdings noch nie an einem Haus gearbeitet, das Mitglied des Bühnenvereins ist. So stellt sich die Frage, ob demnächst der Tabori-Preis an Marco Goecke vom Stuttgarter Ballett verliehen wird?

Dann war ich nach längerer Pause mal wieder für ein paar Stunden auf der INTHEGA-Tagung in der Messe Karlsruhe, wo ich eine ganze Reihe interessanter Künstler getroffen habe, die ich kannte, aber auch neue kennenlernen durfte. Tanz ist leider auf dieser Verkaufsmesse sehr schmal vertreten – außer durch die Agentur Grevesmühl, die ja nur Top-Ensembles im Portfolio hat, wie das Bayerische Staatsballett, das sich außer Leverkusen, Köln oder eventuell Ludwigshafen niemand leisten kann. Die übrigen 130 Theater ohne eigenes Ensemble holen sich bei dieser Gelegenheit den Tanz für die Abonnenten aus Rumänien, Tschechien oder Bulgarien und die kommen dann natürlich mit den Klassikern wie „Schwanensee“. Es ist bedauerlich, dass die „Freien Ensembles“ keine Neigung haben zu Stücken, die sie für diese Häuser anbieten könnten. Wenn aber die Förderungen immer nur für die Neuerfindung der Avantgarde gezahlt wird, die man dann zwei- oder dreimal zeigen kann, ist es auch sehr schwierig.

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