Alles wieder gut?
Berliner Senatsverwaltung rehabilitiert nun auch Ralf Stabel in der Causa Staatliche Ballettschule
Manchmal geht Geschichte seltsame Wege. Da wird ein Tänzer in höchsten Tönen gelobt, gilt seinen Zeitgenossen als „Dichter des Tanzes“, als „größter Tänzer unserer Zeit, ein Wunder“, gegen den Nijinsky „wie ein artiger Schulknabe“ gewirkt habe. Wird international als „Offenbarung“, als „Vulkan des Tanzes“ gefeiert und hat, gemeinsam mit verschiedenen Partnerinnen, Spuren rund um den Globus hinterlassen, besonders auf langen Tourneen durch Asien und bis hin nach Amerika. Erst 1965, mit bereits 60 Jahren, endet eine beispiellose Karriere – und ist heute schon vergessen.
Dennoch stand sein Leben unter einem guten Stern. Als Alexander Freiherr von Swaine (1905-1990), geboren in München, hatte er die Gnade einer wohlhabenden Abkunft UND eines Berufseinstiegs während der äußerlich noch friedvollen, ungewöhnlichen Talenten zuneigenden Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Nach einer dem Elternhaus abgetrotzten Ausbildung an der Eduardowa-Schule in Berlin, der Stadt, wo er Wigman, Palucca, Pawlowa, Karsawina tanzen sieht und sich naiv beim inzwischen verstorbenen Diaghilev bewirbt, beginnt seine Karriere bei Max Reinhardt. Dort tanzt er neben Anton Dolin und Kyra Nijinska, gehört als Solist dann nacheinander der Städtischen Oper und der Staatsoper an. Sein Faun, sein Joseph bescheren ihm Aufmerksamkeit: vom „ekstatischen Monolog eines tanzbesessenen großen Künstlers“ ist da schon die Rede. Doch von Swaine findet in den Fremdchoreografien nicht, was es ihn auszudrücken drängt. Daher schafft er sich über die Jahre ein ungemein vielfältiges Repertoire an eigenen Werken, die er allein und zusammen mit Partnerinnen, allen voran Lisa Czobel, auf exzessiv ausgedehnten, damals gewiss strapaziösen Tourneen rund um den Erdball zeigen wird.
Auch an ihm gehen die finsteren Jahre des „Dritten Reiches“ nicht spurlos vorüber. Mehrfach kollidiert sein individuelles Wollen mit staatlichen Vorgaben, schrammt er an Berufsverbot und Internierung vorbei. Dem entzieht er sich, wieder so ein glücklicher Zufall, mit Gastspielen durch Asien, wo er solch euphorische Kritiken erhält wie kaum ein anderer. Durchgängig attestieren ihm die Zeitungen „eminentes Können“, womit nicht ausschließlich, aber auch sein technisches Vermögen gemeint ist. Ob von Swaine einfach nur schlauer war als seine modern tanzenden Kollegen oder ob ihm wiederum der gute Zufall zu Hilfe kam: Mit seinem soliden Fundament, erworben in einer gründlichen Ausbildung, konnte er in den eigenen Choreografien mitteilen, was immer ihm des Mitteilens wert war, wo andere, ebenso namhafte Podiumstänzer mit geringerer technischer Basis sich auf die Ausstülpungen ihrer Seele beschränkten. Insofern darf von Swaine doppelten Sinns als modern gelten, auch wegen seiner damals eher als ketzerisch empfundenen Verknüpung der Stile.
Faszinierend muss er als Tanzgestalter gewesen sein, der sein Publikum allerorten in Bann zog, viril, physisch kraftvoll, geschmeidig, elegant, glaubt man den Kritiken, die Buchautor und von Swaine-„Reanimateur“Ralf Stabel in vielen Archiven, allen voran dem Tanzarchiv Köln, aufgespürt und ausgewertet hat, ergänzt durch Gespräche mit noch lebenden Zeitzeugen und zahlreiches Material aus privaten Korrespondenzen. Wie mühsam, aufwendig, bisweilen auch zäh das gewesen sein mag, merkt man den flüssig, leicht lesbar und in klarer Diktion geschriebenen Texten nicht an. Stabel, ausgewiesener Tanzhistoriker, scheint mitunter selbst über die kostbaren Funde zu staunen und teilt das schreibend mit seinen Lesern. Staunenswert ist in der Tat der künstlerische Wille des, so die Presse, „Sondertalents“ Alexander von Swaine. Denn er choreografiert, tanzt, entwirft seine Kostüme und organisiert „nebenher“ weltweite Tourneen in nicht einfachen Zeiten. „Weil ich den Tanz liebe, nicht um davon zu leben“, sagt er, tue er all dies.
Wird er etwa im heutigen Indonesien erst frenetisch gefeiert, zögert man nach Ausbruch des 2. Weltkriegs keine Stunde, ihn als plötzlichen Feind zu internieren. Sieben Jahre währt die demoralisierende Kriegsgefangenschaft. Von Swaine trägt sie gefasst. Plastisch, dokumentarisch genau schildert Stabel auch den tänzerischen Neubeginn in der zerstörten Heimat, die sich mehr dem Ballett zuzuwenden beginnt und wo man seine alten Tänze nun aus einem veränderten Zeitempfinden neu deutet. Und wieder retten sich von Swaine und Lisa Czobel in schier endlose Tourneen, auch in wenig deutschfreundliche Länder, wo sie zur Versöhnung über die Kunst beitragen. Japan jubelt ihm zu, Ted Shawn lädt ihn zum renommierten Jacob's Pillow Dance Festival in die USA ein. Über seine Kontakte zu Palucca versucht er auch in der DDR aufzutreten: Dort aber eifert gerade von Swaines einstiger Pianist Eberhard Rebling gegen den modernen Tanz.
Dass sich der weltweit umjubelte Tänzerstar nach ungewöhnlich langer Karriere in die mexikanische Provinz zurückzieht und dort nur mäßig begabte Kinder in die Urgründe des klassischen Tanzes einweiht, weil er über keine Lehrmethode für modernen Tanz verfügt, ist menschlich ehrenwert. Für diese Abstinenz zahlt er mit einem hohen Preis: dem Vergessenwerden in einem Deutschland, dessen beide Republiken auf Ballett und auch auf Tanztheater setzen, wiewohl jede doch etwas Anderes darunter versteht; in dem neue Talente vorwärts drängen und die alten den eigenen Ruhm konservieren. Virtuosität und Expressivität habe Alexander von Swaine miteinander verbunden, resümiert Stabel. Mit seinem oft fesselnd wie ein Krimi zu lesenden und ansprechend gestalteten Lebensbericht hat er einem bedeutenden Tänzer und noblen Charakter das überfällige Denkmal gesetzt.
Ralf Stabel: „Alexander von Swaine – Tanzende Feuerseele“, Henschel Verlag, Leipzig 2015, 193 S., zahlreiche S/W-Abbn., ISBN 978-3-89487-757-6
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