Daniela Kurz mit „Mr. Gould, bitte!“

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Nürnberg, 24/03/2002

Will der Herr Pianist ein Tänzchen nun wagen? Daniela Kurz spielt ihm im Nürnberger Schauspielhaus mit ihren famosen sechzehn Tänzern auf. „Mr. Gould, bitte!“ heißt ihr neuestes, pausenloses und 75 Minuten langes Tanzstück, das sich in neun Szenen dem Pianistengenie des vergangenen Jahrhunderts widmet, ohne zu behaupten, ein Porträt zu liefern. Es handelt sich um Annäherungen an den kanadischen Pianisten. Es sind Splitter, zusammengesetzt wie eines der kubistischen Frauenbildnisse Picassos – mit sehr viel Text, aber ganz und gar kein Quassel-Ballett, wie in der Forsythe-Nachfolge heute üblich, sondern sehr viel Zitate, zunächst eine Chronik seiner Auftritte und Einspielungen, dann aus seinen vielerlei literarischen Aufzeichnungen, Interviews, aus seinen Statements und seinem Briefwechsel.

Die Nürnberger Tänzer sind da ungemein gefordert, und sie entledigen sich dieser Aufgabe fabelhaft textverständlich. Dazu gibt es aus den Lautsprechern diverse Bach-Einspielungen von Gould (aber nicht die berühmten „Goldberg-Variationen“) und weitere Klangcollagen. Die Bühne von Benita Roth suggeriert eine schneeweiße arktische Landschaft (der nordische Winter spielt in Goulds Gedankengängen eine wichtige Rolle), die die Tänzer in weißen Hemden, weißen Shorts und weißen Socken (todschick und sexy) zum Teil auf allen Vieren erkunden. Schlüsselfigur, die durch das ganze Stück geht, ist der Tänzer Ivo Bärtsch, quasi ein Nachkomme des schubertschen Winterreisenden, der verschiedene Eigenschaften des Pianisten verkörpert, ohne aber je vorzugeben, dieser zu sein. Er ist geradezu manisch von seiner Idee des Klavierspielens besessen, und so wandelt sich ein einfacher Tisch in das Objekt seiner Begierde – wie er auch eine Tänzerin (Rikka Läser) als eine Art Piano traktiert. Seine Hände sind sein Idol, und so hat Kurz für ihn einen Port de mains erfunden – wie man denn ihr Bewegungsvokabular in Analogie zur Komposition mit zwölf Tönen ein Sechzehn-Tänzer-System zu nennen versucht ist.

Die Tänzer, die hoch artistische Sequenzen auszuführen haben (mit pfeilschnellen Sprüngen und waghalsigen Fangfiguren), müssen nicht nur ihre Texte deklamieren, sondern auch die kuriosesten Laute von sich geben, wobei sich Jessica Billeter als eine Callas der Nonsense-Lautproduktion erweist, die an die Tradition der Dadaisten um Hugo Ball und Kurt Schwitters anknüpft.

So collagiert Kurz einige der wichtigsten Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts zu einem fiktiven Porträt, das von einer berückenden ästhetischen Reinheit und Schönheit ist – weit entfernt von solchen tänzerischen Porträts, wie wir sie in der Vergangenheit etwa über Bach und Mozart bis zu Brahms und Wagner, oder auch über Paganini und die Callas erlebt haben.

Die Nürnberger Tänzer stürzen sich mit einem Furor sondergleichen in dieses Totaltheater, und Benita Roth sorgt dafür, dass sie fabelhaft aussehen, wenn sie sich später ihrer Hemden und Shorts entledigt haben und in farblich fein abgestuften Pret-à-porter-Kostümen und Anzügen auftreten. Sie sind allerdings zu bedauern, dass sie nach der zweiten Vorstellung am 28. März erst wieder am 26. April und am 10. Mai zum Zuge kommen. Was für eine unökonomische Spielplan-Planung!

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