Verbrennen am brodelnden Gefühls- und Denkvulkan

Kiel, 22/12/2002

Jim Morrison, Leadsänger der einstigen Kultband „The Doors“ – ein mörderisches Leben als ununterbrochenes Powerplay, erdrückt von Ruhm und Selbstmitleid, vorzeitig geendet 1971 nach 28 Jahren, vermutlich wegen Drogenmissbrauchs – ähnlich erging es ein Jahr zuvor Janis Joplin und Jimi Hendrix. Folgerichtig feuert Kiels Tanzchef Mario Schröder in seiner Produktion „Jim Morrison – König der Eidechsen“ eine solche Serie von halsbrecherischen Bewegungssalven ab, dass einem vom bloßen Hinsehen schwummerig wird. Allen voran tobt Oliver Preiß als Schamane, von Schröder als Alter Ego Morrisons ins Spiel gebracht.

Das kurze Dasein der Rockikone lässt Schröder klugerweise nicht chronistisch ablaufen. Er präsentiert zu Songs wie „Riders On the Storm“, „Unknown Soldier“ und „The End“ Situationen, die ihm typisch erscheinen: Konzert, Begegnung mit Hippies, Liebe- und Hass-Beziehung zu „seiner“ Pamela (Nene Kitagawa), von Groupies umschwärmt, Auftritt von Ordnungskräften, karikaturenhaft herausgeputzte, zeitweilig wie Lemuren gesichtslose Engel geleiten den Taumelnden schließlich zum Tode.

Dem verleiht Lockenkopf Stojan Kissiov – weißes Hemd, schwarze Hose – die Aura autistischer Verlorenheit. Erst verhalten, steigert sich Kissiov mehr und mehr bis zum Todesfinale. Zu Beginn hängt er im Vorhang wie Christus am Kreuz. Diese pathetisch larmoyante Pose wiederholt sich leicht abgewandelt wieder und wieder: Über Geschmack lässt sich trefflich streiten. Bühnenfüllendes Charisma besitzt Kissiov kaum, deshalb wirken die Szenen mit den Groupies blass, beim Auftritt der Band hebt er sich nur durch seine Kleidung von den Übrigen ab.

Das eigentliche Zentrum des Abends verkörpert Oliver Preiß als barbrüstiger Schamane, wie ein Tier geboren aus dem Wasser. Preiß entfaltet eine explosive Vitalität, gespeist aus einer anscheinend unerschöpflichen Kondition. Über die neunzig Minuten der Aufführung begleitet er Morrison, stellt ihn mehr als einmal mit kraftvoll herausschießenden Bewegungsfolgen in den Schatten: Ob Überschlag mit Landung über den Spann auf dem Boden, Rollen, Hechten, Anspringen, Breakdance-Elemente – Preiß ufert nie beliebig aus, wahrt auch in rasendsten Abläufen präzise die Form und die beherrschende Bühnenpräsenz.

Viel Platz zum Tanzen lässt das Bühnenbild (Paul Zöller, auch Kostüme und Video): zwei lange, bewegliche Podeste, platziert links und rechts an leicht hereinragenden, gestaffelten Wänden, die Auftrittsgassen schaffen. Stimmung erzeugen Projektionen wie die Eidechse, drachengroß, psychedelische Farbspiele und -bänder. Der Bühnenboden mündet vorn in einen Abwärtsbogen, über den die Tänzer und Tänzerinnen innen in den Orchestergraben abrutschen.

Einen weiteren Höhepunkt von Schröders Rockstück – er hat es bereits im Jahre 2001 in Würzburg kreiert, das zweite nach „The Wall“ – bildet der Auftritt der Bandmitglieder (David Vernis Blay, Lars Scheibner, Denis Utela) unter einer Scheinwerferbatterie: Jeder der drei liefert ein gestochen scharfes Solo ab, dann fegen sie gemeinsam mit Morrison und dem Schamanen über die Bühne. Wie Schröder seine Leute zu motivieren vermag, das zeigen auch die rasanten Gruppenszenen. Jeder der Akteure ist mit konzentrierter Hingabe bei der Sache. Mag den Groupies die Fan-Hysterie fehlen, den Hippies der psychedelische Touch abgehen, die Ordnungskräfte blass erscheinen, die Rolle des Morrison zu eindimensional angelegt sein – die schiere Verve der kraftstrotzenden Choreografie und des vorzüglichen Ensembles wischen solche Einwände als kleinlich beiseite.

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