Aus dem Forschungslabor für moderne Choreografie

Nederlands Dans Theater I mit Arbeiten von Jirí Kylián und Lightfoot Léon

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Ludwigsburg, 21/03/2005

Dieses Publikum! Da bietet ihm das Ludwigsburger Forum am Schlosspark in der laufenden Saison drei Gastspiele aller drei Kompanien des Nederlands Dans Theaters, also der Etablierten vom NDT I, der Junioren von NDT II und der Senioren von NDT III mit Arbeiten so weltweit renommierter Künstler wie Jiří Kylián, Robert Wilson und Lightfoot/Léon – unbestritten einer der absoluten Höhepunkte der laufenden Saison – und mit Kylián einem der Favoriten des Stuttgarter Publikums. Und was tut das Publikum? Es zeigt sich mäßig interessiert. Jedenfalls blieben am ersten Abend vom NDT I auffallend viele Plätze leer. Hinterher gab's dann brausenden Beifall – ein schwacher Trost für den Veranstalter, der natürlich damit gerechnet hatte, dass es einen Ansturm auf die Vorstellungen geben würde.

Nein, Theater-Manager möchte ich wirklich nicht sein – nicht bei einem derart unberechenbaren Publikum! Die gekommen waren, müssen sich wie Besucher im Forschungslaboratorium für moderne Choreografie vorgekommen sein. Sozusagen in der choreografischen Dependance der Labors von Philips Electronics, gleich um die Ecke in Eindhoven. Fehlte nur noch, dass man uns allen Schutzanzüge verpasst hätte! Drei Stücke, zweimal Kylián, „Whereabouts Unknown“ (Jahrgang 1993) und „Click – Pause – Silence“ (2000), und einmal das Ehepaar-Duo (Paul) Lightfoot (Sol) León mit „Safe as Houses“ (2001). Dreimal tänzerische Hochleistungsartistik, aufgeladen mit 2000 Volt. Was für Tänzer, was für eine Kompanie! In „Whereabouts Unknown“ betreibt Kylián archäologische Feldforschungsarbeit: der Mann, der im Sand der Zeiten herumstochert, die fantastische Gruppe der vierzehn Frauen, die mit Masken auftreten. Erst allmählich hellt sich die Szene auf (Michael Simon), beginnen die Schemen sich zu Personen zu verdichten, die mit einfachen Gegenständen hantieren: Stangen, die auch Speere sein können. Darüber ein kreisender Riesenflügel – wie Teil eines Flugzeugs.

In allen drei Stücken spielen Dekor und Beleuchtung ein wichtige Rolle, sind sie Teil der Choreografie, so dass sich der Bühnenraum zu einem choreografischen Kosmos weitet. In Lightfoot Leóns „Safe as Houses“, in dem sie auch für Dekor und Kostüme verantwortlich zeichnen auf eine den Titel eher desavouierende Weise, denn die rotierende Riesenwand bedroht die Tänzer, die sich vor ihr flüchten, gegen sie anrennen, an ihr festkrallen, und sie sie doch nicht aufzuhalten vermögen. Safe? Eher Irritationen auf der ganzen Linie! Alle drei Stücke beginnen in schweigender Nacht. So werden klar die Prioritäten statuiert: erst der zunächst noch starre, dann bewegte Körper, dann der Ton, dann der allmählich aufgehellte Bühnenraum. Dessen Hintergrund beherrscht in Kyliáns „Click – Pause –Silence“ ein riesiger Spiegel, der die Sequenzen eines Fernsehmonitors reflektiert, mehr zu erahnende als wirklich dingfest zu machende Tänzerauftritte, die für weitere Verunsicherungen sorgen, wenn sie sich zu drehen beginnen. „Menschen kommen, bleiben und gehen“, erläutert Kylián, der übrigens auf sein für Stuttgart kreiertes frühes Stück „Kommen und Gehen“ Bezug nimmt. „Manchmal macht es Klick, die Pause erzählt uns etwas über die verstreichende Zeit, die Stille spricht.“ Selten eine so beredte Stille erlebt wie an diesem Abend beim Besuch des Labors „Pour la Recherche du Futur du Ballet“.

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