Bolschoi 1990 kontra Berlin 2005

Grigorowitsch: „Iwan der Schreckliche“ und „Vladimir Malakhov“ auf 2 DVDs

oe
Stuttgart, 14/07/2005

Zwei neue DVDs lassen darüber nachsinnen, was denn wohl aus Irek Mukhamedow, einem der Superstars des Bolschoi-Balletts, geworden wäre, wenn er in Moskau geblieben wäre und sich nicht als Dreißigjähriger 1990 dem englischen Royal Ballet angeschlossen hätte. Vladimir Malakhov, sein acht Jahre jüngerer Landsmann (weder im „Larousse Dictionnaire de la Danse“, 1999, noch im „Oxford Dictionary of Dance“, 2000, mit eigenem Stichwort vertreten), beim konkurrierenden Moskauer Klassischen Ballett groß geworden und heute Intendant des Staatsballetts Berlin, entschloss sich 1991 nicht nach Russland zurückzukehren und wurde 1994 österreichischer Staatsbürger.

Zwei jetzt veröffentlichte DVDs könnten nicht unterschiedlicher sein. Bei Arthaus Musik ist „Iwan der Schreckliche“ erschienen, Juri Grigorowitschs Zweiakter aus dem Jahr 1975 zu einer Prokofjew-Chulaki-Musikadaption der ursprünglichen Filmmusik von Prokofjew, in einer TV-Produktion aus dem Jahr 1990 mit dem Bolschoi-Ballett, inzwischen auf DVD umformatiert (Cat.-Nr. 101 107) – mit Mukhamedow in der Titelrolle, Natalya Bessmertnova als seine Frau Anastasia und Gediminas Taranda als Iwans Gegenspieler Fürst Kurbsky (Ausstattung: Simon Virsaladze – 114 Min). Die von DaimlerChrysler TV.media gesponserte DVD-Produktion „Vladimir Malakov“ mit dem Copyright-Vermerk 2005 bietet in drei Teilen „Making of La Bayadère – Ein Blick hinter die Kulissen“, „Exklusives Star Feature“ und „Eine Ballettprobe mit Polina Semjonova“ (ohne Katalognummer, 65 Min., dafür mit Preisangabe: 29 Euro oder 35 $).

Der Bolschoi-„Iwan“, martialisch einher stampfend, mit furchterregend grimassierenden Tänzern, schwarz geschminkt wie mit Tonnen von Schuhcreme, wuchtet mit der nicht zu stoppenden Gewalt einer Dampfwalze über die Bühne: ein Dinosaurier aus finstersten Sowjettagen, in ein murksiges Licht getaucht, mit sechs glockenläutenden Boy-Schwengeln als Leitmotiv. Mukhamedow hin und her gerissen als zähnefletschend auftrumpfender Gewaltherrscher und von seinem schlechten Gewissen gejagter Liebender seiner vergifteten Frau, die Bessmertnova als eine Ikone russischer Seelenhaftigkeit verkörpert, während Taranda den eleganten Schurken mimt.

Ballett als pseudodokumentarisches Heldenepos. Unerträglich! Wenn sich Mukhamedow am Schluss in die Seilstränge der Glocken verknäult und auf den fallenden Vorhang zuschwingt, fragt man sich, ob man nicht doch lieber eine DVD des „Phantoms der Oper“ hätte erwerben sollen. Exzellent dagegen das begleitende Booklet mit der ausführlichen Darstellung der Historie und ihrem Weg zum stalintreuen Film von Sergej Eisenstein und weiter via Prokofjew/Chulaki zu Grigorowitschs Ballettmonster. Ganz im Gegensatz dazu die Malakhov-DVD, ganz ohne Textbeilage – nicht einmal die Rückseite des Kassetteneinbandblatts ist bedruckt. Von Schleichwerbung des Sponsors kann hier natürlich nicht die Rede sein, wenn Malakhov in seiner Limousine durch Berlin gekarrt wird und in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Stuttgarter Ballett“ auftritt.

Ganz in helles Berliner Licht getaucht die Vorbereitungen für die „Bayadère“-Aufführung, der Berliner Ballett-Intendant im Interview als lächelnder Sunnyboy, der so gern der Dritte im Bunde der Nurejew und Baryschnikow wäre, ein Sympathikus als Tänzer, Direktor, Pädagoge und Choreograf, verehrt von seinen Mitarbeitern (Jordi Roig, Diana Vishneva und Beatrice Knop), den Fans und ganz besonders von der allerdings auch ganz besonders liebenswerten Polina Semionova. Unbestreitbar die Erfolge, die Malakhov in relativ kurzer Zeit in Berlin errungen hat. Man kann nur hoffen, dass sie auch in Zukunft anhalten werden.

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