Aus der Balanchine-Manufaktur

„Jewels“ als Premierenproduktion der 32. Hamburger Ballett-Tage

oe
Hamburg, 08/07/2006

Nein, zu meinen Balanchine-Favoriten gehören die „Jewels“ – warum eigentlich nicht „Juwelen“? – von 1967 nicht. Gehörten sie noch nie – weder die Originalproduktion des New York City Ballet noch die Mariinsky-Version beim Gastspiel in Baden-Baden – und auch als DVD mit dem Ballett der Pariser Opéra nicht (siehe kj vom 12. Juni). Und gewiss nicht die nagelneue Hamburger Einstudierung – die vierte des kompletten Dreiteilers in ihrer dritten Vorstellung (mit Umbesetzung der meisten Solorollen gegenüber der Premiere vom 27. Juni).

Volles Haus an diesem fußballfreien Sommerabend, das Publikum eskalierend begeisterungsentschlossen. Die Premierenkritiken waren überaus positiv, die Dame von der Abendzeitung befand sogar: „‚Jewels‘ zu sehen bereitet schieres Glück“. Da gehen unsere Glücksvorstellungen doch offenbar weit auseinander. Im Hinblick auf Balanchine favorisiere ich eindeutig „Apollon musagète“, „Serenade“, „Concerto Barocco“, „Sinfonie in C“, „Die vier Temperamente“, „La Valse“, „Ballet Imperial“ und „Agon“. Dagegen kann ich mich für den „Verlorenen Sohn“ und für Mr. B.‘s „Nussknacker“ ganz und gar nicht begeistern.

Vom Dreiteiler der „Juwelen“ finde ich die an den Anfang gestellten „Smaragde“ ausgesprochen routiniert und langweilig – und von den finalen „Diamanten“ überzeugt mich nur die Polonaise am Schluss (viel zu lang geraten ist der Pas de deux). Beide sind für mich ausgesprochene Werkstattarbeiten – wie bei den mittelalterlichen Malern, die ihre Bilder von ihren Lehrlingen anlegen ließen, um dann zum Schluss noch ein paar persönliche Pinselstriche dazuzugeben. Das Mittelstück dagegen, „Rubine“ zu Strawinskys Capriccio für Klavier und Orchester, ist funkelndster und geistreichster Balanchine – und zwar jener Balanchine, der sich nicht zu erhaben war, gelegentlich auch für Hollywood und den Broadway zu choreografieren.

Auf die „Smaragde“ und die „Diamanten“ könnte ich gern verzichten, während die „Rubine“ unverzichtbar zum Balanchine-Kanon gehören. Übrigens ist mir schleierhaft, wieso sich Neumeier, der in den „Rubinen“ für Bühnenbild und Licht verantwortlich zeichnet, zu einer Übernahme der Kostüme von Karinska bereit erklären konnte, nachdem doch Christian Lacroix wesentlich schickere und elegantere Kostüme für Paris entworfen hat. Grässlich, Karinskas manschettenartige Röckchen für die Damen und Herren – eher akzeptabel die Tutus à la St. Petersburg in den „Diamanten“. Getanzt wird in Hamburg „in accordance with the Balanchine Trust and Balanchine Style“, für deren strikte Einhaltung die Lordsiegelbewahrerinnen Karin von Aroldingen, Elyse Borne, Patricia Neary und Malin Thoors Sorge tragen. Für die musikalische Qualität bürgen die unter der kompetenten Leitung von Markus Lehtine spielenden Philharmoniker Hamburg und Hamburgs Ballett-Klavierspezi Volker Banfield.

„Smaragde“, an diesem Abend von Heather Jurgensen und Otto Bubeníček angeführt, mit Laura Cazzaniga und Carsten Jung als zweitem Solopaar, sind von einschläfernder Langeweile. „Diamanten“ mit Anna Polikarpova sozusagen als Erbin der Pawlowa und Ivan Urban als Nikolai Legat repräsentieren die hansestädtischen Klone des St. Petersburg-New Yorker Ballettimperialismus. Die „Rubine“ hingegen machen wirklich Spaß, wie sie von den Hamburgern mit Reeperbahn-Nonchalance (und toller Präzision) hingefetzt werden. Die Beine fliegen nur so im Ballerinen-Stechschritt und Hélène Bouchet erweist sich als eine kontinentale Verwandte von Patricia Neary, während Alexandre Riabko der Erbe Edward Villellas ist, der seine Soli mit einer Brisanz auflädt, als ginge es um ein Casting für „Kick it like Sasha“!

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