Zwei neue Tänzer, zwei neue Paare

Tigran Mikayelyan und Roberta Fernandes in „Romeo und Julia“

Münchner Merkur, 09/01/2007

Die Zeichen standen günstig: Für die erste Vorstellung des Cranko-Klassikers dieser Saison vor heimischem Publikum, die als Wiederaufnahme bezeichnet war, zeigte sich die Kompanie nach ihren Gastauftritten in Venedig versiert und ging exakt und temperamentvoll zu Werke. Von ihrer Frische beflügelt, tanzte Tigran Mikayelyan sein Romeo-Debut, ideal gefordert und geführt von Natalia Kalinitchenko, die in ihrer vierten Spielzeit offensichtlich mit Freude die Bühne des Nationaltheaters in ihren Besitz nimmt, indem sie mit ihrer um weitere Details bereicherten Darstellung und tänzerischer Brillanz die Atmosphäre des sie umgebenden Raumes prägt.

Mikayelyans Romeo zeigte sich mit den Freunden Mercutio und Benvolio mutwillig und den Mädchen zugetan, bewährte sich auch tänzerisch im Trio zwischen Alen Bottaini und Erkan Kurt mit seinen hohen Doubletours. Bei der Begegnung mit Julia auf dem Ball der Capulets, die Kalinitchenko zauberhaft gestaltete, respondierte er ihrem Spiel nicht nur gut, sondern setzte es auch als ihr sicherer Partner in den langen Hebungen frei. Seine Gedanken und Blicke waren richtig und klar erkennbar, müssen aber, wenn er sich nach dieser ersten Vorstellung als Romeo selbst freispielt, noch mehr in den Körper wachsen. Das wird er wohl bald leisten können. Technisch ließ er schon jetzt keine Wünsche offen, wie seine tänzerische Explosion als leidenschaftliche Reaktion auf Julias Anblick in der Balkonszene bewies. Da dieses Paar in den Hebungen so gut harmoniert, endete dieser Pas de deux in überwältigenden Momenten der Synthese von rauschhafter Begeisterung und erkennendem Bewusstsein.

Im Mittelakt stattete Alen Bottaini seinen Mercutio mit vielen neuen Raffinessen und noch mehr Leben aus und lieferte ein Sterben, frei von jedem manirierten Moment. In diesem Rahmen überzeugte Tigran Mikayelyan mit Romeos Tanzeinlagen ebenso wie durch seine aus dem Inneren gezeigte Emotion gegenüber Julias Amme als Briefbotin. Auch seine Raserei gegen Tybalt nach dem Tod des Freundes kam von innen. Im manchmal beschwerlichen Schlussakt ließ die Spannung nicht nach. Während sich Julia am Morgen nach der gemeinsamen Nacht in den Schmerz dehnte, zeigte Mikayelyan, wie Romeo von der Notwendigkeit wie von einem Sturm hinweggeweht wird.

Der Rest lebte von der unter der Leitung von Valery Ovsianikov groß gespielten Musik und Natalia Kalinitchenkos großartiger Erzählung bis hin zu Julias entsetzlichem Begreifen. Man musste sich der einen oder anderen Träne da nicht schämen! Entsprach doch der von Cranko genial gesetzten Gegensätzlichkeit der Szenen die großartige Ausführung der Polarität, die auch in den Rollen Romeos und Julias angelegt ist - und dies auch, weil die Natürlichkeit in der Bewegung durch den hohen Formalisierungsgrad der Tanzsprache aufgeladen war.

Drei Tage später mit Roberta Fernandes wirkte alles nice and easy, mich weniger berührend. Dabei war die zur vorigen Spielzeit aus Stuttgart gekommene brasilianische Solistin durchaus charmant, griff klug viele Anregungen auf und stürzte sich voller Temperament in ihre erste ganz große Rolle am Bayerischen Staatsballett. Ihr Partner Lukas Slavický ließ es an tänzerischer Kraft und leidenschaftlichem Ungestüm nicht fehlen und war mit seiner Imagination gut in der Geschichte, konnte aber der ihm anvertrauten Debütantin in der Darstellung nicht eine kontinuierlich leitende Unterstützung sein.

So blieben die Tänze auf dem Ball leicht und gefällig hingetupft. In die Balkonszene ging Roberta Fernandes mit viel Schwung und Mut und bot, wie Lukas Slavický, tänzerische Glanzlichter. Doch mit ihrem zu gleichförmigen Lächeln, dem manchmal eine Spur zu naturalistischen Spiel und kleinen Brüchen in stilistischer Poliertheit und Darstellung konnte sie die tiefe Leidenschaft nicht fühlbar machen. Auch im Schlussakt gefiel ihre sehr schöne, langgliedrige Geschmeidigkeit, und sie schaffte auch darstellerisch alle Details mit dem richtigen Timing, doch es war noch nicht zwingend in die Musik und das geistige Band integriert, wo die Bedingungen für die emotionale Wirkung liegen. Wie Roman Lazik, der den Paris solide tanzte, meldete sich Sherelle Charge nach langer Verletzung zurück - mit einer umwerfenden Darstellung der Gräfin Capulet.
 

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