Blick in Schattenwelten

Uraufführung von Helge Letonjas „Darkland“ bei steptext dance

Bremen, 01/10/2008

Von Simon Neubauer

Ambitionierte Tanztheater unserer Tage bevorzugen mit Vorliebe große, gedankenschwere Themen. Realismusnähe ist da weit weniger gefragt als das Eintauchen in die Irrealität. Helge Letonja gestattet zwar in seiner neuesten choreografischen Kreation „Darkland“ noch etliche leicht nachvollziehbare Wechselwirkungen zwischen Innen und Außen, aber sie sind auch nicht ohne Verfremdungen und kaum noch zu heilenden Brüchen möglich.

Mit „Darkland“ meint der Leiter des steptext dance projects selbstredend nicht die Dunkelheit, die den irdischen Tag zwischen Helle und Nachtdunkel teilt, sondern er lenkt den Blick auf die Schattenwelten des Daseins, entwirft Szenarien der körperlichen und mehr noch der seelischen Bedrohungen und Verrohungen, der schmerzenden Isolationen, der begehrten, aber kaum noch erreichbaren Solidarität. In einem Zwischenreich aus bröckelnden Mauern, diffusen Landschaften und nackter Leere treiben die Trauernden, die Suizidgefährdeten, die Hoffnungslosen und Verzweifelten dahin, suchen immer wieder Hilfe, die sie nie finden, flüchten in eine mit Zusammenbrüchen endende Ekstase. Als nett vermutete Partner degenerieren zu Bestien, flüchten ins Delirium, bis ihnen im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Ein Baumstumpf mit Reisig als Krone, das stumme Gespräch mit dem Schattenriss, der Erinnerungsversuch anhand alter Fotos, die zur Blutschwemme gerinnenden Tropfen und herumgetragene, aufgeblasene Plastikkanister bergen kaum rettendes Nass, lassen sich eher als Helfer beim tödlichen Schnüffeln benutzen. Wenn schon mal nach gegenseitigen Demütigungen eine Zweisamkeit entsteht, wenn ein Paar zur Skulptur zusammenwächst - hier in dieser Welt hat nichts Bestand. Nur am Ende wirft das Video grünende Bäume auf die weiße Leinwand.

So formt Helge Letonja aus kurzen Sequenzen und vielen nur aphoristisch aufblitzenden Momentaufnahmen ein Pandämonium der Geworfenen und der Ruhelosen. Sein choreografisches Vokabular nutzt die heute signifikant genutzten Muster der deformierten Bewegungen und „stotternden“ Körper, der Brüche und Exaltationen, um Assoziationen zu wecken, Gedanken herauszufordern, Richtlinien zum Eintauchen in das Unbewusste aufzuzeigen. Die variabel geformte, suggestive Musik (Jörg Ritzenhoff), die Szenerie (Naoko Tanaka) und selbstverständlich die intensiv mitgestaltenden Tänzer und Tänzerinnen (Robert Bell, Hsuan Cheng, Bénédikte Mottart, Kenta Shibasaki und Claudia Voigt) verstärken den Eindruck einer fesselnden, mitunter auch bohrenden Abendstunde.

 

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