Das Drama flackert in den Augen

Der Jubiläums-„Romeo“ mit Sunnyi Melles

München, 14/11/2008

Ist es nicht wunderbar, wie man rein mit Tanz eine Geschichte erzählen kann? Man muss es natürlich so können - heute kann es kaum einer mehr - wie der große, darin unerreichte John Cranko. Seit genau 40 Jahren ist sein „Romeo und Julia“-Ballett (1958 Mailand, 1963 Stuttgart) im Münchner Repertoire. Und ist immer noch ein Renner.

Das wurde jetzt im Nationaltheater mit einer „Spezialbesetzung“ gefeiert: Münchens Eliteballerina Lucia Lacarra als Julia, „Onegin“-Star Marlon Dino erstmals als Romeo. Heino Hallhuber, der Tybalt der Münchner Premiere 1968, nun mit 81 ein kraftvoll-würdiger Herzog von Verona. Jürgen Wienert, eigens zurückgekehrt aus dem Ruhestand, zum 142. Mal ein großartig präsenter Graf Capulet. Und Schauspiel-Koryphäe Sunnyi Melles als Lady Capulet!

Es passt natürlich zur Melles, dass sie sich in dieses Risiko-Abenteuer mit all ihrer künstlerischen Neugier und Leidenschaft hineinwirft. Und von Ballettchef Ivan Liška (gab den Pater Lorenzo) war das auch keine schlechte Idee. Im Parkett saßen nämlich, sonst eher selten, renommierte Kollegen, „Resi“-Intendant Dieter Dorn und sogar bekennende Ballett-Verächter der schreibenden Zunft wie Bernd Sucher. Enttäuscht? Wohl kaum. Denn dieses Traumwesen Lucia Lacarra ist ja eine in jeder Tanzgeste „darstellende“ Julia. Und technisch schwerelos fließen bei ihr Crankos vertrackte Pas de deux, auch dank Marlon Dino, dem die herbe Rolle des Onegin allerdings besser liegt. Ein zukünftiger Romeo könnte der junge Maxim Chashchegorov sein, der als Graf Paris sein Charisma-Potenzial leuchten ließ. Ja, und auch alle anderen haben sich reingehängt in diese Gala-Vorstellung, von Cyril Pierre, Tigran Mikayelyan, Lukáš Slavický, „Amme“ Irene Steinbeißer bis zum Staatsorchester unter dem Tempo-machenden Valery Ovsianikov. Gut so. Denn ab dem Giftfläschchen wird es einem immer ein bißchen lang.

Sunnyi Melles' Lady Capulet - eine Extra-Farbe, eine Seh-Erfahrung. Die Selbstverständlichkeit, mit der geübte Tänzer stilisierte, „gesetzte“ Gesten zu einer wieder ganz natürlichen Sprache werden lassen, kann man von ihr nicht erwarten. Eine gewisse Anspannung, wie auch nicht(!), war ihr momentweise anzumerken, wenn sie in Jürgen Roses Renaissance-Prachtgewändern aristokratisch-tänzerisch dahinschritt. Aber ihr Schauspielinstinkt ist jede Sekunde hellwach. Warte- und Leerstellen kennt sie nicht. Da flackert das ganze Drama in ihren Augen. Und so berührend hat man den Schmerz von Julias Mutter um ihr verlorenes Kind noch nie gesehen.
 

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